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Mory Kante
gehört zu den Superstars der afrikanischen Musikszene. Sein Millionen-Hit Yeke-Yeke ist nicht nur Insidern bekannt.

Die schweizer Autorin und Journalistin
Marianne Berna
beschäftigt sich bereits seit vielen Jahren mit der Musik Afrikas. Sie kennt sie die Szene, Musiker und Macher, wie kaum jemand.
Marianne und Mory trafen sich in Paris zu einem Gespräch. Es ist veröffentlicht in dem lesenswerten Buch
Paris wie die Wilden
Afrika - seine Musik - ihre Metropole
von Marianne Berna und Bill Akwa Betote
erschienen im ECO-Verlag
ISBN 3-85647-105-7

Der ECO-Verlag stellte uns freundlicherweise dieses Material zur Verfügung.
Fotos Courtesy by ECO-Verlag, Zürich

Kurze Discographie

Einer von vielen, Erster unter Gleichen: Mory Kante
Westafrika, um 1950. Weil die Franzosen bei ihrem Abzug aus Guinea einige Jahre später sämtliche Urkunden verbrannten, steht als Geburtsdatum in Mory Kantes Pass:"vers 1950".
Über Afrika dämmert ein neues Zeitalter. Der Kolonialismus liegt in den letzten Zügen, vor der Tür steht die Unabhängigkeit. Die technologische Ära, die sich ja auch im Westen erst langsam breitmacht, dringt allerdings erst in kleinen Portionen nach Afrika und höchstens in die Hauptstädte. Auf dem Land, auf dem riesigen, endlosen Land Afrikas, regiert noch die Tradition.
Das uralte Reich Mali, das sich zu Kolumbus' Zeiten vom Senegal bis fast zum Tschadsee erstreckte, ist zwar längst plattgewalzt und zersplittert. Aber die Tradition, die Sprachen, Kultur und sozialen Strukturen des Reiches Mali sind erhalten. Der Mande, wie man diesen Kulturkreis nennt, der Mande lebt.
Die wohl wichtigste Rolle bei der Bewahrung dieses Kulturkreises spielen die Griots, auf Manding Djali. Europäer sehen in den Griots meist nur gerade die Sängerinnen oder Sänger und Musiker, als die sie oft in Erscheinung treten. Aber Unterhaltung ist nur ein kleiner Teil ihrer Rolle. "`Djali` heisst eigentlich `Blut`", erklärt Mory Kante. "Wir sind das Blut der Gesellschaft, ohne uns kann sie nicht überleben. Wir sind in der Seele eines jeden, denn wir sagen den Leuten, wer sie sind."


Morys Kaste
Griots sind Historiker und Ahnenkundler, sind Journalisten, Diplomaten, Hofnarren, Werbefachleute, Magier, Seelsorger und politische Drahtzieher. Jede Familie von Rang und besonders der Adel haben ihre Griots, die die Ahnengeschichte bis in graue Vorzeit kennen und bei allen Familienanlässen vortragen. Früher, als Afrika noch mit seinen selbstentwickelten Gesellschaftsstrukturen lebte, sprachen König oder Dorfchef nur durch die Griots zum Volk. Aber das Volk durch sie auch zur Obrigkeit. Die Griots hatten also die heikle Aufgabe, sowohl den Untertanen die neuen Gesetze und Verordnungen beizubringen als auch die Regierung stets über Stimmungen und Strömungen im Volk auf em laufenden zu halten. Bis heute erhalten hat sich der Brauch, sich von Griots Lobeslieder zum eigenen Ruhm singen zu lassen. Deshalb hört man auch in der modernen Musik immer so viele Namen. Zwar verachtet man die Griots dafür, engagiert sie dann aber bei nächster Gelegenheit doch selbst. Auf jeder Ebene: Fussballclubs werden ebenso besungen wie Politiker. Youssou Ndour (der nur mütterlicherseits von Griots abstammt) widmete 1982 das Titellied seiner neuen Kassette einer Automarke. "Honda" wurde, wie alle Youssou- Kassetten, zum Nationalschlager, und der Künstler bekam einen schönen Wagen.
Griots sind die "Meister des Wortes", wie der Schriftsteller Camara Laye so treffend titelte - und das Wort war auch in Afrika am Anfang. Regelrechte Kommunikationsexperten, sitzen sie an den Schaltstellen der Macht: an der Basis aller menschlichen Beziehungen.
Ähnlich wie einst der Klerus bei uns Volk und Könige mit Ablass oder Exkommunikation manipulierte, steigen die Griots bis heute zwar selbst nie in den Adel auf, aber sie übten immer grosse Macht auf ihn aus. Ähnlich wie die Kirche zu Geld kommt, lebten die Griots - meist nicht schlecht, oft sehr gut. Und wie der Klerus dem Zölibat unterstellt ist, so hat die afrikanische Gesellschaft auch die Macht der Griots einer Kontrolle unterworfen: Sie bilden eine Kaste für sich und dürfen sich nur innerhalb der Kasten verheiraten. Bis heute.
Kraft ihrer Ausbildung und ihrer ererbten Fähigkeiten finden Griots in moderner Zeit oft den Weg in hohe Positionen von Wirtschaft und Politik. Doch selbst ein Minister aus der Griotkaste würde empört aus dem Hause geworfen, sollte er sich erdreisten, seine Frauen unter den "Freien" zu suchen (und wären die Erwählten bettelarm ... ).


Morys Familie
Frauen, richtig. Denn die Mande-Völker waren schon immer polygam, und daran hat natürlich auch der Islam nichts geändert. Mory Kantes Vater, 1986 im Alter von 109 Jahren gestorben, war ein »grosser Meister der Tradition" Schmied, Magier und Chefgriot des ganzen Bezirks im hintern Guinea und hatte als solcher natürlich stets die vom Islam erlaubten vier Eheweiber. Da er zahlreiche von ihnen überlebte, sich auch ab und zu scheiden liess, heiratete er immer wieder neue hinzu.
Eine seiner letzten Bräute war Fatoumata Kamissoko, Tochter des Griots Mory Kamissoko, der so mächtig war, dass ihn einst die Franzosen kurzerhand auf den Thron des ehemaligen Königs setzten. Nach sechs Monaten aber gab Kamissoko seine Krone wieder ab, denn, so erklärt mir sein Enkel, "wir Griots sind mehr als Könige. Wir sind die Vernunft, die Bewusstwerdung. Wir regeln den Zustand der Seele. Wenn man so viel Macht hat, muss man sich unterordnen. Man muss die Oberhäupter, das Volk und die gesellschaftliche Struktur respektieren, um überhaupt leben zu können. Man muss Demut üben. Darum hat mein Grossvater die Krone an die Königsfamilie zurückgegeben."
Kamissoko war ein weiser Mann. Er wusste, wie sehr man die Griotkaste fürchtet, sie wegen ihrer Käuflichkeit auch verachtet. Er wusste, dass man den Bogen nicht überspannen darf. Wenn Mory Kante von seinem Grossvater Kamissoko erzählt, beginnen seine Augen zu leuchten, seine Stimme, seine ganze Erscheinung straffen sich. Von diesem Mann hat er nicht nur den Vornamen ins Leben mitbekommen.
"Er ritt auf seinem weissen Pferd, ein Gefolge von sechzig, achtzig Musikern begleitete ihn auf jedem Weg. Stell dir vor, die Würde, die Lieder, die Musik - es war eine afrikanische Symphonie! Dies hatte ich in meiner Kindheit vor Augen."
Eine jahrhundertealte, beidseitige Ahnenreihe von Griots also. Mory war einer der letzten Sprösslinge seines damals schon betagten Vaters und hatte 37 Brüder und Schwestern - die meisten davon natürlich Halbgeschwister von andern Müttern und manche so viel älter, dass sie selbst Kinder in Morys Alter besassen. Es war ein riesiger Griotclan, dessen Mitglieder es fast alle weit gebracht haben. Entweder in Wirtschaft, Forschung und Politik, oder - klar - als Künstler.
"Mein Vater sah die moderne Zeit kommen und schickte uns alle 38 in die Schule der Weissen. Selbst die Mädchen." Im Bezirkskaff Kissidougou von damals wahrhaft revolutionäre Erziehungsmethoden! Doch vor der Schule, lange, lange vorher, begann die Erziehung zum Griot. Die fängt im Mutterbauch an, "wenn die Mutter den ganzen Tag singt und singt."
Mit sieben steht der kleine Griot, die kleine Griotte erstmals vor einem grossen Publikum. Könnten sie dann die wichtigsten Epen des Mande nicht fehlerfrei rezitieren, so wären sie unwürdig, zu Meistern des Wortes geformt zu werden. Mory muss schon damals mehr als das Erforderliche gebracht haben, denn der berühmte Grossvater wies mit dem Finger auf ihn und sprach: "Dieser hier - er ist bestimmt, mein Werk fortzuführen!"


Mory lernt, was er später brauchen kann
Die nächsten zehn Jahre gab man ihm das Werkzeug dazu. Man lehrte ihn Balafon spielen, das afrikanische Holzxylophon, Familieninstrument der Kante. Man lehrte ihn, mit seiner Stimme all das zu bewirken, was eine menschliche Stimme bewirken kann. Man trainierte sein Gedächtnis zu phänomenaler Kapazität, brachte ihm das gesamte Epos des Mande und all seiner Familien bei (das entspricht umfangmässig etwa der Bibel). Man weihte ihn in Magie ein und schulte ihn als Zeremonienmeister. Man unterrichtete ihn in Psychologie und Soziologie, dem Funktionieren des einzelnen, der Gruppe und der Masse. Man investierte jegliche Mühe und Sorgfalt in Morys Erziehung, denn er war nicht nur seines Grossvaters erwählter Lieblingsenkel, sondern zeigte sich der Herausforderung auch voll gewachsen. Klug, herzig, charmant und sehr talentiert - er war ein richtiges Sonnenkind. Ganz Kissidougou hätschelte und verwöhnte den kleinen Mory.

Damit ihm solcher Erfolg nicht schon früh den Kopf verdrehe, sandte man ihn mit vierzehn nach Bamako, der Hauptstadt von Mali, zur Tante auch sie eine Griotte von grossem Renommee. Dort bekam seine Ausbildung den letzten Schliff, bis er mit siebzehn reif zur Initiation war. Über diese Einweihung verweigert Mory schlankweg jegliche Auskunft.
Die Endsechziger waren auch in Afrika eine wilde Zeit. Erste Ernüchterungen nach zehn Jahren Unabhängigkeit, schwere Wirtschaftskrisen und der gewaltsame Einbruch der modernen Zeit bereitete in vielen Ländern den Boden für Bewegungen unter der Jugend, die zum Teil direkt anschlossen an europäische 68er- und nordamerikanische Black-Power- Ideen. Für Mory jedoch waren Politik und Demos keine Themen. "Das interessierte mich überhaupt nicht. Ich hatte Besseres zu tun."


Mory steht auf eigenen Füßen
Mory hatte nämlich seine eigene Band. "Nach der Landung von Apollo auf dem Mond (1969) gab es in ganz Westafrika eine Mode: Überall gründeten die Jungen kleine Bands zu Ehren der Mondexpedition. Diese Gruppen spielten erstmals mit elektrischen Instrumenten und nannten sich eben "Apollos". Wir hatten drei Gitarren, Bass, Schlagzeug und ein Mikrophon; ich spielte Leadgitarre und sang. Ha, wie das lief! Keine Hochzeit, keine Taufe ohne mein Apollo!
Nach kurzer Zeit hatte ich schon einen Lieferwagen - einen Opel! -, da waren vorne drauf die Lautsprecher montiert, und los ging's! Mit dem Apollo habe ich zum ersten Mal die traditionellen afrikanischen Instrumente - das Balafon, die Kora- auf die elektrische Gitarre übertragen. Die andern Bands, die spielten alle noch europäische Schlager und kubanische Tänze. Wir waren die ersten, die die traditionelle Musik des Mande elektrisch modernisierten.
Wie ich auf die Idee gekommen bin? Schau - ich habe gesehen, wie die Weissen meinen Grossvater auf den Königsthron setzten. Einen Griot! Die Weissen haben etwas durchgesetzt, das achthundert Jahre lang absolut undenkbar war! Das hat mir klargemacht, dass wir an der Welt der Weissen nicht mehr vorbeikommen. Wir können zwar so tun, als gäbe es sie nicht. Dann werden sie uns einfach überrollen. Für mich war der Weg schon damals klar.
Die Alten (Alte - in Afrika nicht abfällig, sondern Ehrentitel) protestierten lange gegen meine Neuerungen und zitierten mich vor den Rat. 'Du machst unsere Tradition kaputt mit dem Teufelszeug der Weissen', warfen sie mir vor. Es war sehr schwierig, sie zu überzeugen. 'Wenn ich es nicht mache, werden es eure Enkel tun', erklärte ich ihnen. Bis sie mir schliesslich ihren Segen auf den Weg gaben.
Mein Vater hat uns in die Schule der Weissen geschickt. Das war sehr klug. Wir kommen nicht darum herum, mit dem Westen zu leben. Nur wenn wir uns verständlich machen können, haben wir überhaupt eine Chance, uns durchzusetzen. Es muss endlich ein Gleichgewichtgeschafft werden in diesem Monolog zwischen Afrika und dem Westen!"
Vorläufig aber hörte noch kein Mensch im Westen Morys Stimme oder Band. In Bamako dagegen verbreitete sich sein Ruf schnell. Die Rail Band du Buffet de la Gare de Bamako (zu deutsch die "Eisenbahnband vom Bahnhofbuffet Bamako") spielte den Reisenden während der afrikanisch langen Wartezeiten zur Unterhaltung auf. Sie hatte ebenfalls gerade elektrische Instrumente bekommen und suchte noch Musiker, die ihrem Starsänger Salif Keita das Wasser reichen konnten.
Doch das Zusammenspiel der beiden heute berühmtesten Musiker Westafrikas dauerte nur acht Monate. In Bamako wussten alle, warum: Es war die Todfeindschaft zwischen Salifs Vorfahr Sundjata Keita, der anno 1200 das Reich des Mande begründete, und seinem damaligen Widersacher Sumanguru Kante, dem Urahn Morys, die zwischen der beiden stand ...
Wenn die Rail Band das altüberlieferte Heldenepos von Sundjata anstimmte, dann sang Salif die Partien, in denen Sundjata besonders glorios herauskommt. Mory dagegen, zweiter Sänger und Gitarrist, konterte mit den Teilen, die Sumangurus Heldenmut und Kraft herausstreichen. Diese Aufnahmen - kürzlich wiederaufgelegt - gehören zu den frühen Höhepunkten der modernen Mande-Musik. Doch Salif Keita verliess das Bahnhofbuffet Bamako und gründete sein eigenes Orchester, die Ambassadeurs. Mory blieb fünf Jahre bei der Rail Band (die es übrigens heute noch gibt), ehe ihm Bamako zu eng wurde.


Mory zieht in die Fremde
1978 war Abidjan, Hauptstadt der Elfenbeinküste, der Kreuzweg des kulturellen Austausches in Afrika. Finanziert von den reichen Dioula- Händlern - auch sie ein Mande-Volk -, stellte Mory binnen kurzem eine Truppe von 57 Musikern, Tänzern und Artisten auf die Beine, mit der er in einem Car auf Tournee ging. Ziel des ambitiösen Unternehmens war, die westafrikanische Kultur in ihrer ganzen Breite auszuloten. "Was ich heute mache, hier in Europa - das ist ein ganz kleiner Teil dessen, was ich mit der Truppe in Abidjan erstmals umriss. Wir erforschten Instrumente, Rhythmen, Tänze, Legenden..."
Damals begann Mory, die Kora als Leitinstrument einzusetzen, mit der er heute die Weissen bezaubert. Aus den USA kam - Folge der Roots- Bewegung - der Verleger der schwarzen Zeitschrift "Ebony", auf der Suche nach "echt afrikanischer Musik" und stiess auf Morys Orchester. Aus dieser Begegnung entstand das "Courougnegne",-Album, Morys schönstes und ein Klassiker der Musik Afrikas. (Es ist leider längst vergriffen.) Aber er musste weiter. 1983 verschwand er für ein Jahr.
Wohin? Darüber schweigt er sich aus. "Ich meditierte." In diesem Jahr reifte der Entschluss, sich im Westen Gehör zu verschaffen.
"Zwischen Afrika und dem Westen klafft ein tiefer Graben. Wir müssen eine Brücke bauen. Wir müssen endlich ein Gleichgewicht herstellen. Und nur die Kultur wird dies zustandebringen. Die Kultur ist das Erbe des Menschen. Durch sie wird der Mensch erst wirklich zum Menschen. Die Kultur ist der Weg des Friedens, denn ihre Stimme wird von der ganzen Menschheit verstanden.
Dieses Streben nach Besitz, das sich heute überall breitmacht, das muss man züchtigen. Sonst wird der Mensch zum Monster. Und nur die Kultur kann dies verhindern. Der Milliardärssohn kann auf einem Konzert tanzen und wird zum Menschen wie alle andern um ihn herum. Es ist wie in Mekka oder in Rom. Wenn sich die Pilger versammeln, gibt es keine Milliardäre."
Mory behauptet von sich, dass seine Visionen von selbst Wirklichkeit werden. Die Arbeit liegt wohl im Schaffen der Vision. Im Sommer 1984 kam Mory Kante nach Paris.
Er hatte noch nicht mal eine Wohnung, als ihm schon ein Plattenvertrag in den Schoss fiel. Eine neue Band entstand wie von selbst innert weniger Wochen: bunt gemischt aus Europäern und Afrikanern. Auf dem noch im selben Jahr erschienenen Album "Mory Kante á Paris" skizzierte er seine Vorstellungen von moderner afrikanischer Popmusik, unter anderem in einer ersten Version von "Yeke Yeke", einem alten Mande-Folkloresong, von dem es Dutzende von Versionen gibt.
Die Platte lief, wie nicht anders zu erwarten, schlecht. Nach dem ermuti- genden Anfang in Europa bekam Mory in den nächsten paar Jahren die harten Realitäten des Immigrantenlebens zu spüren.


Mory als Immigrant
Mit knapper Not konnte er Frau und Kinder nachkommen lassen, aber die Familie hatte ständig Scherereien mit den Ausländerbehörden. Ein neues Album war nicht in Sicht, weil ihn die Firma nach dem Flop des ersten aus dem Vertrag entliess. Die achtköpfige Gruppe wollte auch bezahlt sein, und schliesslich hatte Mory Kante ja noch Ansprüche. Ziemlich hohe: an sich zuerst, aber auch an die Band, an seine Projekte, seine Plattenfirma...
Mory kämpfte. Nur das Publikum hielt ihn in Europa -dieses Publikum, das oft zufällig in die Konzerte hineinlief und das dem Charismades Griots fast unweigerlich erlag. Daran merkte er, dass seine Vision kein Hirngespinst war.
Langsam begann die tropische Musik in den Hitparaden aufzutauchen. Afrikanische Bands rochen nicht mehr a priori nach Pleite, und so kam Mory 1986 bei der Plattenfirma Barclay unter Vertrag. Zwei Jahre nach seiner Ankunft in Paris erschien das zweite Euro-Album. Schon der englische Titel "Ten Cola Nuts" liess auf interkontinentale Ambitionen schliessen; und wenn sich die Songs weit stärker an der traditionellen Mande-Musik orientierten als das discohafte "A Paris", so gerieten die Aufbereitung, das Styling von "Ten Cola Nuts" um so moderner. Besser als irgendein anderes illustriert dieses Album Mory Kantes Verwurzelung in der Tradition, seine Liebe zur Griot-Ballade. "Ten Cola Nuts" war eine wunderschöne Platte, die dennoch kaum einen Eindruck hinterliess. Sie verkaufte sich nur wenig besser als die vorherige.
Trotzdem hielt Barclay Mory die Stange und stellte ihn ein Jahr später erneut in die Startlöcher. Die tropische Welle hatte in Frankreich gerade ihren Höhepunkt erreicht, als im Oktober 87 "Akwaba Beach" erschien. Mit drauf: eine aufgepeppte Discofassung von "Yeke Yeke".
Anfangs machte die Neuerscheinung keinen grossen Lärm. Doch Barclay hatte sich wohl von Mory Kantes Visionen anstecken lassen und ging nun aufs Ganze. Videoclip, Tourneen, Maxisingle und Radioversionen von "Yeke Yeke", Spezial-Konzerte für die Presse (Showcase nennt man das), Plakate und Annoncen zuhauf - nichts wurde dem Zufall überlassen. Einmal mehr zeigte sich Mory der Herausforderung gewachsen. Wer ihn auf der Bühne gesehen, die perfekte Show, die phantastische Band erlebt hatte, war zumindest beeindruckt. Mory arbeitete wie ein Verrückter an der Verwirklichun seines Traums.
Im Frühling 88 begannen die Verkäufe anzuziehen, man hörte dieses "Yeke Yeke" immer öfter am Radio. Und plötzlich hob der Song ab. Zuerst natürlich in Frankreich, kurz darauf dann in allen umliegenden Ländern schoss das alte Folklorelied die Charts hinauf bis an die Spitze. Ganz Europa tanzte zu einem Schlager, der auf Malinke gesungen war.


Mory Superstar
Präzis an jenem Sonntag Anfang Juli 1988, als Mory Kante auf dem Programm des Jazzfestivals Montreux stand, wurde "Yeke Yeke" in der Schweizer Hitparade Nummer eins. Und präzis an jenem Tag tauchte erstmals seit Wochen der höchste Berg Europas, der Mont Blanc, aus dem Dunst auf, um gut sichtbar über dem Städtchen am Genfersee zu thronen.
Mory glühte vor Befriedigung, als wir ihm die neuen Charts bekanntgaben, und er weihte mich praktisch zur Griotte, als ich ihm den Mont Blanc zeigte - der Gipfel Europas, wo er ja jetzt auch einen Platz besetzte. In diesem Moment war er ganz der alte - ein blitzgescheiter Kerl, dessen Lebensinhalt und Bestimmung das Anführen von Menschen ist.
Aber nur in dem Moment. In Montreux sah ich zum erstenmal diesen gehetzten Blick in seinen Augen. Ein paar Wochen später trafen wir uns in Paris für ein wichtiges Interview, das ins Wasser fiel, weil er fast am Restauranttisch einschlief. Er, der Griot, konnte nicht mehr erzählen ... Nicht mal mehr sein eigenes Epos.
Quasi zur Versöhnung offerierte er mir kurz darauf einen freien Tag im Schweizer Jura, wo er ein Konzert gab. Zu viert kurvten wir in der schönen Gegend rum, liessen uns von der Gastfreundschaft der Jurassier verwöhnen, genossen den Spätsommer. Aber dieser Blick wollte nicht aus Morys Augen weichen, und es kostete mich meine ganze Diplomatie, um ihn vors Mikrofon zu kriegen. Er, bei dem man früher besser mit zwei Kassetten zum Interview kam, weil er so viel zu erzählen hatte!
Auf der Herbsttournee war es dann krass. Mory Kante bestand nur noch aus Fragmenten. Er zeigte typische Rockstar-Symptome und funktionierte auf der Bühne nur dank rigidester Griotdisziplin, wie sie ihm ja vom ersten Lebenstag an eingeimpft worden war.
Neun Monate später kam er abermals in die Schweiz. Das Konzert markierte einen totalen Stillstand - es war Ton für Ton dasselbe wie im Jahr zuvor. Eine Migräne ersparte ihm jeglichen Kontakt mit der Aussenwelt; sein Blick war nun nicht mehr gehetzt, sondern schon fast resigniert. 1990 gab er das Album »Touma« heraus, das ganz nach der "Yeke Yeke"-Masche gestrickt war. Ein einziges Stück darauf lässt etwas von Persönlichkeit und Können dieses hervorragenden Musikers erkennen. Im übrigen hört man wenig von ihm. Wenn der Griot Mory Kante so klug ist, wie ich glaube, so nimmt er sich ein Beispiel an seinem Grossvater und gibt wie der die Krone zurück, die ihm die Weissen aufgesetzt haben.


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CD bzw. Platte
nicht mehr erhältlich
Album : 10 Cola Nuts
1981
Label : Barcley 829 087-2
Album : Mory Kante á Paris
1984
Label : Barcley CD 837 729-2
Album : Akwaba Beach
1987
Label : Barcley CD 833 119-2
Album : Touma
1990
Label : Barcley CD 843 702-2
Album : Nongo Village
1993
Label : Barcley CD 521 267-2
Album : Tatebola
1996
Label : Misslin DME 18 3015592

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