Eine legende feiert Geburtstag
30 Jahre Embryo
Bernhard Sander mit einem Blick zurück
Fotos von Klaus Unland
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30 Jahre Embryo
Das dreißigste Jahr von Embryo, entwickelte sich zum Jahr der Begegnung mit Meistermusikern aus aller Welt. Es begann bei dem Jubiläumsfestival im Münchner Babylon, wo zwischen den über dreißig Embryo Musikern, die auf der Bühne standen, der chinesische Pipa- und Flötenmeister Sa Mu mit seinen überraschenden Einfällen alle Beteiligten in seinen Bann zog. Das Fest wurde zu einem glücklich verlaufenen Abend: Kontinente verbrüderten sich oder gaben sich die Hand - ein vierstündiger Soundtrip um die Welt!


Afrika wurde von dem senegalesischen Trommelmeister Famadi Sako repräsentiert, der auf seiner Djembe mit donnernden Beats die vielen Schlagzeuger überzeugte. Amerika war vertreten durch die New Yorker Jazzbläser Marty Cook (gerade zum besten Posaunisten gewählt), Alan Praskin und Chuck Henderson. Aus China Xizhi Nie, Multiinstrumentalist der feinsten Sorte, ob auf seiner Mundorgel aus Bambus, auf seinen Kniegeigen oder als Sänger, wenn er spontan mit einem asiatischen Rhythmus-Esperanto einen World-Dadagesang erfand.
Aus Afghanistan der Sänger und Harmoniumspieler Jamal Mohmand und sein junger Tablaspieler Farid. Der usbekische Doiratrommler Suchreddin Chonov, der wie selbstverständlich die chinesische Sängerin Li Li begleitete war dabei. Kontrabassist Rocky Knaur aus Kanada spielt schon seit über zwei Jahrzehnten mit und wechselte sich kongenial mit seinen Kollegen Jens Pollheide und Chris Lachotta ab.
Embryolegenden wie Roman Bunka oder Michael Wehmeyer standen auf der Bühne neben dem Kopf des Amon Düül-Projektes Chris Karrer und dem Auch-früher-mal-bei-den-Düüls-Schlagzeuger Dieter Serfas, der sich mit Lothar Stahl bestens verstand. Dieses einmalige Ereignis, angekurbelt von Christian Burchard, wurde auf Bild und Ton festgehalten.
Ein kleiner Vorgeschmack davon ist zu hören auf dem CD-Sampler German Rock 2000 (speziell eingerichtete Info-Site













Ein paar Wochen später kam der ägyptische Meisterviolonist und Komponist Abdu Dagir nach München. Roman Bunka hatte alles vorbereitet, ist er doch seit vielen Jahren sein gelehriger Schüler, der ihn oft live in Europa vorstellte. Die Sessions mit einer kleinen Besetzung im kammermusikalischen Sound setzten ein hohes musikalisches Niveau. Abdu Dagir, der schon im Orchester der sagenumwobenen Oum Kalzum mitgespielt hat, ist eine lebende Schatzkammer der orientalischen Tonkunst. Seine Geigenimprovisationen und Kompositionen werden im gesamten arabischen Raum höchst geschätzt.
1999 ermöglichte die weltberühmte Kulturstätte Miro Foundation, gleich zwei Projekte zu verwirklichen, die eigentlich außerhalb der finanziellen Möglichkeiten von Embryo lagen. Zwei bedeutende Meistermusiker konnten von weither eingeladen werden: Einmal der Trompeter Jurji Parfenov. 1998 wurde er von seinen russischen Kollegen zum Musiker des Jahres gewählt, prägte er doch einen einzigartigen Stil, in dem er die asiatische Musikkultur in sein Spiel einfließen läßt. Gleichzeitig ist er mit aller westlicher Aufführungspraxis vertraut, ob im Postfolk der Avantgardegruppe Tri-o aus Moskau (wo er momentan wohnt), im Ensemble des USA-Jazzsaxofonisten Johnny Griffin oder als Meistersolist im Orchester des schwedischen Bandleaders Oleg Lundstren. Auf der ganzen Welt wird sein Spiel höchst geschätzt, in Washington erhielt er den Duke Ellington- Award, selbst Indien und Ägypten hat er bereist. Im Mai 99 unternahm er mit Embryo eine ausgedehnte Tournee. Mit dem Chef der Kultgruppe Between Peter Michael Hamel gab es ein eindrucksvolles Konzert in der St Johanniskirche in Hamburg, und das auf dem Kunstschiff M.S. Stubnitz in Rostock entstandene Video zeigt einen Einblick in die neue Klänge dieses fruchtbaren Zusammenspiels.
Dann gab es den Gnawakönig Mahmoud Gania und sein Ensemble. Er ist bereits eine Legende. Pharoah Sanders oder Carlos Santana, das sind nur einige prominente Namen, die mit Mahmoud Gania erfolgreich Platten eingespielt und Konzerte gegeben haben. So hat selbst Gitarrengott Jimi Hendrix einst bei ihm gewohnt und Unterricht genommen. Gania ist ein anerkannter Meister der vielbewunderten Gnawakultur, einer aus Schwarzafrika stammenden kultischen Musikerzunft. Im Sommer 98 hatten Embryo bei Mahmoud Gania in Essaouira gewohnt und einige Sessions mit den marrokanischen Meistermusikern aufgenommen, die auf dem viel gepriesenen Doppelalbum Istanbul/Casablanca zu hören sind.


Anfang Juni '99 begann die Tournee im Festsaal der Miro Foundation in Barcelona, weiter ging es nach Italien wohin Roman Bunka den Quanunspieler Gamal Lotfi aus Kairo mitgebracht hatte, um die Musikkarawane damit zu bereichern und nicht zu verpassen. Überall: großer Applaus für die einzigartige Kombination, ob in Rom auf dem renommierten Ethnofestival in der Villa Ada, in Venedig, Bologna, Varese, Ferrara - hoffentlich gibt es davon mal eine Ton- oder Videoaufzeichnung. Der Auftritt im überfüllten Konzertzelt des Feierwerkfestivals in München wurde glücklicherweise mit drei Digi-Kameras festgehalten und da wird tatsächlich bald etwas zu sehen und zu hören sein. "To be continued" war die einhellige Meinung aller, als Mahmoud Gania mit seinen fantastischen Mitmusikern in die USA weiterreisen mußte.
Ein paar Wochen später war die Kernbesetzung von Embryo (Christian Burchard, Jens Pollheide, Lothar Stahl, Dieter Serfas und Karsten Hochapfel) wieder in Barcelona, wo sie von dem russischen Meistertrompeter Jurji Parfenov erwartet wurden. Die Miro-Foundation hatte ihn extra aus Moskau einfliegen lassen, denn er stand auf der Embryo Wunschliste ganz oben. Das groß angekündigte Konzert fand auf der weltberühmten, von Joan Miro gegründeten Ausstellungsanlage über den Dächern von Barcelona, in einer eigens dafür eingerichteten Open Air-Bühne statt, um den großen Publikumsandrang zu bewältigen. Die größte spanische Zeitung "El Pais" lobte diesen groß angekündigten Embryoauftritt, der selbst in den TV-Nachrichten Beachtung fand, als "ein großes Ereignis mit magischer Wirkung" und als "einen leidenschaftlichen Trip mit magischer Wirkung". Bei einigen Stücken waren noch der katalanische Perkussionstar Marti Perramon und der Bassist und Bandleader der Gruppe ContempArabic Stephan Athanas spontan mit eingestiegen. Es kommt auf jeden Fall eine CD Live At The Miro Foundation, auch um sich vor der Großzügigkeit dieser Kultureinrichtung zu verbeugen. Ein paar Tage später gab es im Szeneklub Heliogabal noch einige aufregende Sessions. Nach fünf Jahren ( er hatte damals auf der legendären 25-Jahresfeier bei dem Tollwood Festival mitgewirkt), war der japanische Shakuhatchi und Flötenvirtuose Hiroshi Kobayashi wieder mit dabei. Embryos Zusammenspiel mit dem russischen oder auch zentralasiatischen ( denn so sieht er selbst sich mehr) Trompetenmeister war inzwischen kreativ gewachsen. Besonders die Bearbeitung seiner kirgisischen und tartarischen Musiktraditionen begeisterten Kollegen, Kritiker und Publikum. Das Embryo Quintett reifte dadurch zu einer festen Einheit. Selbst als Jurji Parfenov wieder abgereist war, waren die folgenden Konzerttourneen bis nach Palermo, wo sie mit der höchst talentierten sizilianischen Ethnojazzgruppe NNI` Lusinghi zusammenspielten, von großem Erfolg.
Absoluter Höhepunkt waren die Auftritte mit Mal Waldron, der von der Jazzkritik als Gigant des Modern Jazz angesehen wird. Nicht umsonst ziert sein Portrait immer mehr die Titelseiten vieler Jazzmagazine. Er hat bis heute über 600 Platten aufgenommen (die erste 1949), und die Liste seiner Mitmusiker liest sich wie das Who is Who des Jazz: Dizzy Gillespie, Charles Mingus, John Coltrane, Max Roach, Lester Young, Coleman Hawkins, Eric Dolphy - ganze Seiten könnten damit gefüllt werden. Seinen künstlerischen Durchbruch hatte er als Billie Holiday, die größte Jazzsängerin aller Zeiten, ihn als Pianisten engagierte. Die Liste seiner musikalischen Aktivitäten ist endlos, seine genialen Kompositionen stehen in jedem besseren Songbook. Selbst Stars der zeitgenössischen Szene wie M-Base-Saxofonist Steve Coleman spielen auf seinen neuesten CD-Veröffentlichungen. Christian Burchard hatte Mal Waldron schon Jahre vor der Embryo Gründung getroffen. Veröffentlicht wird bald eine Aufnahme von 67, bei der Dieter Serfas das Schlagzeug spielt, beide feiern bereits das vierte Jahrzehnt ihrer Freundschaft. Zunächst gab es am 3.12. ein Duokonzert in der ehrwürdigen Münchener Seidlvilla, um auf die Wiederveröffentlichung des vielbewunderten Albums Into The Light (Materiali Sonori/Schneeball/Indigo CD 9233-2) hinzuweisen, mit einer anschließenden Workshopnightsession, wo ausschließlich Stücke aus der Feder von Mal Waldron erklangen. Am Tag darauf dann die Embryo Big Band mit den besten modernen Bläsern der Szene: aus den USA Alan Praskin, Monty Waters und Chuck Henderson, aus Rußland Alexandr Alexandrov und Lena Bloch, aus China Xizhi Nie, aus Japan Masaro Nishimoto und aus München Norbert Stammberger und Götz Liekfeld. Es gab drei Kontrabassisten: Chris Lachotta, Nick MacCarthy und den Russen Vladimir Volkov. Karsten Hochapfel konzentrierte sich auf sein Cellospiel, Titus Waldenfels bewegte die Gitarrensaiten und Dieter Serfas wurde von Max Weissenfeldt in der Perkussionsektion unterstützt. Christian Burchard leitete das Geschehen vom Vibrafon aus, von einer Schlagzeugeinlage ausgenommen, und Mal Waldron bestimmte mit einzigartig dunklen Flügelakkorden die musikalische Architektur des Abends.





Am 5.12. im Nürnberger Cramer 15 standen etwas weniger Musiker auf der Bühne, aber die "Nürnberger Nachrichten" (vom 7.12.) schrieben begeistert darüber:" Wer dieses ungewöhnliche Konzertereignis verpasst hat, darf sich zu Recht ärgern." Davor wird das Zusammenspiel (wieder mit dabei die Embryolegenden Edgar Hofmann und Roman Bunka) positiv folgendermaßen gekennzeichnet: "Überhaupt begeistert der dichte Dialog der insgesamt achtköpfigen Band, die atemberaubend locker zwischen Ethno-Jazz und unaufdringlicher Jazz-Rock-Improvisationspraxis dahinschwebt." Ein paar Tage nach Waldrons Abreise begrüßte Embryo die Postfolkgruppe Tri-o um Sergej Letov mit einer großen Session. Und nach einer winterlichen, das Jahrtausend verabschiedenden Tournee bis nach Berlin, wo es zu einem kreativen Wiedersehen und -hören mit den New Yorker Improvisationsmatadoren Marty Cook und Larry Porter kam, verabschiedeten sie die Russen, natürlich ganz besonders Jurji Parfenov mit einem Liveauftritt, wo der neu ins Programm genommene "Tartarenbeat" alle begeisterte.
Bernhard Sander

HINWEISE:
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in den INDIGO-Notes Nummer 71 April 2000. Die Fotos stammen aus der Sammlung von Klaus Unland.

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