Griots, Geschäfte und Geschichten MALI IN MOTION Einblicke von Jay Rutledge |
Fotos (c) Jay Rutledge |
Touristen
sieht man in Bamako kaum ausser ein paar Franzosen, die hier
Urlaub machen. An ihre Kolonialherrschaft erinnern nur noch ein paar
heruntergekommene Gebäude und Hotels im Zentrum der Stadt. Aber
Touristen bleiben in Bamako sowieso nur so lang bis sie sich ihre Tour
ins Landesinnere nach Nordosten organisiert haben: nach Mopti,
dem sagenumwobenen Timbuktu oder zum Trekking ins Dogonland.
Gute 10 Millionen Einwohner hat das Land, dass zu einem der 5 ärmsten der Welt zählt, auf einer Fläche zweimal die Größe von Deutschland. Im Norden begrenzt durch Mauretanien, Algerien und die ewige Weite der Sahara, wird Mali im Süden von Burkina Faso, der Elfenbeinküste und Guinea umschlossen. Bamako, die Hauptstadt Malis liegt im Südwesten des Landes zu erreichen per Flugzeug über Paris oder Brüssel in 6 Stunden oder von Dakar im Westen aus mit dem Zug, der braucht allerdings gute 2 Tage für die 1200 km dafür fährt er teilweise so langsam, dass man absteigen und sich etwas zu Essen holen kann. Aber das stört kaum jemand, die meisten sind eh unterwegs, um zu handeln: mit Ziegen, getrockneten Fischen, Reis, Baobabfrüchten und allen möglichen anderen zu riesigen Bündeln verschnürten Waren teilt man sich das Abteil... |
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Die
meisten Besucher Bamakos ahnen nicht, das die unscheinbare staubige
Stadt am Niger das Zentrum der wahrscheinlich derzeit spannendsten und
vielfältigsten Musikszene Westafrikas ist.
Wochenende für Wochenende kann man die Jelimusolu wie sie in Mali genannt werden in ihren bunten Gewändern an jeder Straßenecke ihre traditionellen Preislieder singen hören. Und auch aus den kleinen batteriebetriebenen Radios, die in Mali jeder mit sich herumträgt, dröhnt nicht Hip-Hop sondern Griot-Popmusik entgegen, denn Mali ist vorallem eines, die Heimat der Griots. Die Griots sind die traditionelle Musikerkaste Westafrikas. Bis ins 13. Jahrhundert lassen sich ihre Lieder zurückverfolgen, als der große Held Malis Soundjata Keita die unterschiedlichen regionalen Stämme Westafrikas zum Mande Königreich vereinigte. Gemeinsam mit diesem Reich verbreiteten sich die Griots und ihr Musik von Mali aus über große Teile Westafrika. Anders als in vielen anderen Ländern Westafrikas singen in Mali die Frauen. Die traditionellen Begleitinstrumente, die 21 seitige Kora, die N'goni, eine Art kleine Gitarre, die als Vorläufer des Banjos gilt und das Balafon werden von den Männern gespielt. Vom 13 Jhr. an bis heute begleiten die Griots jedes gesellschaftliche Ereignis: Hochzeiten, Taufen, Beerdigungen, große Feierlichkeiten. Wochenende für Wochenende dröhnen ihre Preislieder von Mittag bis spät in die Nacht aus den Innenhöfen der Gehöfte. |
Der
Salon in Kandia Kouyatés Haus gleicht einer Art afrikanischem
Neuschwanstein: barocke, vergoldete Stühle, kitschige Glasvasen mit
edlen Plastikrosen und an den Wänden goldgerahmte Spiegel. Das Haus
mit samt der Einrichtung hat ihr einer ihrer neuen Jatiguis - Gönner
gebaut: Babani Sissoko. Er schenkte ihr Autos, große Summen Geld,
einmal sogar ein Privatflugzeug. Die Geschichte Babani Sissokos ist
einer dieser unglaublichen modernen afrikanischen Mythen. In Dubai
lernte Babani einen reichen Geschäftsmann kennen der Milliarden mit
Öl verdient hatte.Mit
einer Unsumme an Geld kam er zurück nach Mali, kaufte sich erst mal
mehrere Jumbojets(!), schmiss Partys, bei denen er schon mal jemand ein
Kilo Gold geschenkt haben soll. Irgendwann entpuppte sich der Geschäftsdeal
mit Dubai als Betrug, Babani wurde von Interpol gesucht, die Flugzeuge
beschlagnahmt. Heute lebt er arm als Bürgermeister in seinem
Heimatdorf, nur noch ein riesiger nie fertiggestellter Hotelrohbau am
Ufer des Niger erinnert an ihn.
Ein anderer Patron Kandias war ebenfalls ein Geschäftsmann: Amary Daou. Hommage heißt ein etwas kitschige Stück von Kandias aktuellem Album "Kita Kan". Gewidmet ihrem kürzlich verstorbenen Patron Amary Daou. Leute aus Bamako", singt sie im Text, ihr wisst, ein Obdachloser kann leben, eine Person die ihre Mutter verloren hat auch, aber für eine Person, die ihren Patron verliert, wird das Leben unerträglich." Kandia Kouyate erzählt: |
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Mindestens so populär wie die Griots sind in Mali die treibenden funkigen Rhythmen der Wassoulou-Region aus dem Süden des Landes. Schon an den Namen kann man die selbstbewussten Sängerinnen, die Anfang der 80er den Preisliedern der Griots ihre Liebeslieder entgegensetzten von den Griots unterscheiden: Statt Kouyate, Koita, Koné, Diabaté oder Sissoko heißen sie Sangaré, Sidibé, Doumbia oder Diakité. Und während bei den Griots Kora und N'goni den Sound bestimmen, ist es bei den Wassoullou- Sängerinnen der ruppige Klang der Kamel n'goni, einer kleinen Art Gitarre, die meist von Jugendlichen gespielt wird und das metallische Schaben des Karignan. Auch bei der Wassouloumusik sind es die Frauen, die im Mittelpunkt stehen. | |
Oumou Sangare & der Autor beim Frisör |
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Am
Abend ihres Abflugs nach Paris, wo Oumou
Sangaré gerade ihr neues Album für World Circuit
aufnimmt, ergibt sich noch die Möglichkeit für ein Interview.
Treffpunkt ist ihr großes Anwesen in einem Vorort von Bamako,
schon von weitem zu erkennen an der riesigen Satellitenschüssel auf
dem Dach. Die Zeit ist knapp, so findet das Interview dann letztlich im
Friseursalon statt. Oumou leger in Turnschuhen und Latzhose bekleidet.
Oumou Sangaré erzählt: |
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Ähnlich wie in der Musik der Griots sind auch die meisten Melodien und Texte der Wassoulou Sängerinnen 1 zu 1 aus der reichen Tradition übernommen, oft ist einzig das Arrangement neu. Eine junge Generation von Musikern geht jetzt einen neuen Weg. Sie halten nichts davon Preislieder auf reiche Geschäftsleute zu singen und ewig die gleichen alten traditionellen Lieder zu wiederholen. Erstmals versuchen sie die vielfältigen Stile ihrer Heimat zu einer eigenen Musik zu fusionieren. Zwei der wichtigsten Musiker dieser neuen Generation sind Habib Koite und Rokia Traoré, die kürzlich in Deutschland auf Tournee war. Rokia Traoré veröffentlichte jetzt kürzlich ihr nunmehr zweites Album Wanita: Was für Europäer rein traditionell klingt, ist für Mali äußerst gewagt. |
Habib Koité & seine Band Bamada |
Während die großen Stars in Mali meist in Pajero Jeeps oder großen Mercedesen unterwegs sind, kämpfen wir uns in Rokia Traorés zerbeultem blauen Peugeot durch das Verkehrschaos Bamakos. Eher praktisch als repräsentativ ist auch ihr Haus. Wir sitzen auf Klappstühlen im kahlen betonierten Innenhof und Rokia erzählt von sich. Gelebt hat die Diplomatentochter wie es scheint schon überall: Belgien, Algerien, Saudi-Arabien ... zuletzt studierte sie Soziologie in Brüssel. Irgendwann merkte sie, dass sie eigentlich nicht mit ganzem Herzen dabei war, schmiss alles hin und entschloss sich nach Bamako zu gehen um Musik zu machen. | |
Im Hause Traore: Rokia (links) & Mamou Sidibe |
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Rokia Traoré erzählt: | |
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Anfangs
war es gerade für sie als junge Frau nicht einfach, ihre männlichen
Musiker überhaupt dazu zu bewegen, ihre modernen Vorstellungen von
Musik mitzumachen: Sie hatte einen Sound im Kopf, der sich nicht an
traditionelle Stilgrenzen hielt. Ihre Musiker hielten sie für verrückt
als sie das große Balafon aus Kénédougou
mit der N'Goni, dem Instrument der Griots verbinden
wollte. Den Rhythmus ließ sie dann noch eine Gita,
eine umgedrehte halbe Kalebasse, die mit dünnen Eisenstäben
gespielt wird schlagen. Neuland für Mali. Wer sie und ihre Musiker
einmal bei einer Probe beobachtet hat, merkt schnell was das bedeutet:
Arbeit. Zum einen weil die Stimmungen der beiden Instrumente sehr
unterschiedlich sind, zum anderen weil Musiker in Mali nicht gewöhnt
sind die traditionellen Bahnen zu verlassen.
Rokia Traoré erzählt : |
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Neu ist, dass sich jetzt sogar die ersten jungen Griot Sängerinnen auf der INA eingeschrieben haben. Statt sich auf traditionellen Hochzeiten hochzudienen, interessieren sich heute genauso für moderne Atemtechniken, Arrangements und ihre Rechte, - all jene Sachen, die man als professioneller Musiker wissen muss. Die meisten Musiker Malis können weder lesen noch schreiben, selbst Stars wie Amy Koita, Kandia Kouyaté oder Oumou Sangaré sprechen nur gebrochen französisch. Alle drei werden von ihren Ehemännern gemanagt sie selbst können ihre Verträge nicht lesen. Ein Riesenproblem findet Rokia. "Ein Gitarrist, der hier für jemand einen Song schreibt", erzählt sie, "bekommt vielleicht noch ein paar extra Zigaretten." Als Autor und Komponist trägt sich dann meist der Star der Gruppe ein; manchmal aber auch der Produzent, oder sogar der Manager, der in seinem Leben noch keine Gitarre in der Hand hatte. |
Die Gruppe Tatapound in Bamako |
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In
Bamako tritt Toumani jeden Freitag
im "Le Hogon" auf, einer kleinen Bar im
Zentrum der Stadt. Seine Band Symmetrie fängt so ab 9-10 Uhr abends
an zu spielen, er selbst steht allerdings vor Mitternacht nicht auf der
Bühne. Seit einiger Zeit unterstützt er jetzt auch eine
Rapgruppe aus der Nachbarschaft: Les Escrocs.
Sie können in seinem kleinen Studio üben und er hat auf ihrem
ersten Album mitgespielt.
Toumani erzählt: |
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5-6 Hip-Hop Kassetten sind in Mali bislang herausgekommen. Produzenten, die Hip-Hop-Beats programmieren können, gibt es nochimmer kaum. Tata Pound eine der weiteren Bands im Land nahmen deshalb ihr Album in Dakar, Westafrikas Hip-Hop Hauptstadt auf. Sie rappen wie die meisten Bands in Bamana und haben eine deutliche Message. | |
Die Rapper der Band Tatapound bei Radio Kledu |
In
der Musikbranche ist die Situation nicht anders. Professionelle Musik in
Mali zu machen ist zäh. Das Musikbusiness liegt am Boden. So musste
die größte Plattenfirma des Landes MaliK7
Anfang des Jahres vorrübergehend schließen. Der Anteil der
raubkopierten Kassetten war auf über 90% gestiegen. Wer wie MaliK7
versucht legal zu arbeiten, die Kassetten versteuert, das Studio
bezahlen muss, den Künstlern ihre Tantiemen bezahlt, kann mit den
Piraten nicht konkurrieren. Nachdem die Künstler selbst Anfang des
Jahres auf die Straße gegangen sind um für den Schutz ihrer
Urheberrechte zu demonstrieren, hat sich die Lage mittlerweile ein wenig
gebessert. Der Chef des Bureau Malien de Droit d'Auteur,
der GEMA Malis, wurde wegen Korruption gefeuert und die Kontrollen an
der Grenze für die oft nicht oder falschdeklarierten Container mit
Kassetten aus Bangkok und Guinea verschärft.
Ein Besuch bei Mali K7 ist erfrischend. Seit mehr als 15 Jahren ist der Chef der Firma Philippe Berthier nun schon im Lande. Phillippe feiert nicht die reine Tradition ab, sondern sucht nach innovativer Musik. Für ihn ist es kein Zufall, dass Hip-Hop in Mali gerade im Kommen ist, in letzter Zeit auch der Geschmack des Publikums geändert. |
Original und Fälschung Öffentliches Rundschreiben der Plattenfirma Mali-K7 an die Presse zum Thema Piraterie |
Philippe Berthier erzählt: | |
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Den Beweis für den Wandel des Hörverhaltens liefert der Erfolg der neusten Erfindung von Mali K7: Mali style. Eine Reihe, die elektronische Beats mit traditioneller Musik verbindet. Entstanden aus einer Spielerei des französischen Toningenieurs Yves Wernert, der gleich ein Haus hinter MaliK7 das Studio Bogolan betreibt. Am Computer hat er an einer Aufnahme der Wassoulou Sängerin Ramata Diakité herumgebastelt. Das Ergebnis "Na" übersetzt "komm her" - schlug in Mali sofort voll ein. Mit"Sya" dem Folgealbum, kam dann das erste Album auf den Markt dass komplett im Techno Mali style produziert ist. |
Issa Bagayogo erzählt: | ||||
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Yves Wernert erzählt: | ||||
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Das
Album schlug ein und seitdem ist Techno Issa, wie ihn
jetzt alle nennen ein Star in Bamako. Yves ist mittlerweile schon ein
zweiter Streich gelungen diesmal in Zusammenarbeit mit der jungen Peul Sängerin
Mamou Sidibé. Ihr Album
"Nakan" brach in Bamako alle Rekorde 30.000
Kopien verkaufte Mali K7 bislang - aller Piraterie zum trotz. Jetzt ist
geplant, dass beide auch in Europa auf Tournee gehen.
Bleibt nur zu hoffen, dass auch die Europäer an den Weiterentwicklungen der Tradition Gefallen finden. |
Der Bericht
"Mali in Motion" ist im Sommer 2000 im
Deutschlandfunk in der Sendereihe "Corso Extra"
ausgestrahlt worden.
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