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Eine Flut herausragender Tonträger belegt:
Musik ist der heißeste Export-Schlager,
den Kuba zur Zeit zu bieten hat.


Eine Standortbestimmung von Max Annas und Christine Hatzky
mit freundlicher Genehmigung der Stadtrevue - Köln
Fotos und Grafiken aus dem Booklet der CD "Cuba - I Am Time" (Exil)
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    Die enorm große Zahl an Veröffentlichungen kubanischer Musik 1997 ist sicherlich nicht auf eine gleichzeitige Welle der Kreativität auf der Insel zurückzuführen, sondern läßt sich eher auf ein ziemlich schnödes kapitalistisches Prinzip zurückführen: Musik aus Kuba verkauft sich im Moment sehr gut. Selbst wenn Ry Cooder keinen ausgedehnten Aufenthalt in Havanna dazu genutzt hätte, die Produktion dreier CDs anzukurbeln, die World-Music Charts platzen vor Son und Danzón.

Wir reden in diesem Zusammenhang nicht von der New Yorker Spielart kubanischer Musik, dem Salsa, der Einflüsse sämtlicher kubanischer Musikstile verwurstet und bis heute in deutschen Mittel- und Großstädten das Kennzeichen jeder Latin-Disco ist, sondern von der populären kubanischen Musik des 20. Jahrhunderts.

Der kommerzielle Erfolg erreicht nun jene, die die musikalischen Traditionen zwischen Havanna und Santiago in den letzten Jahrzehnten bearbeitet haben. »Forget sugar, cigars and rum - music is Cuba's greatest export«, schreibt Jan Fairley in einem Beitrag im »World Music Rough Guide«. Das 112-seitige Booklet zu der opulenten 4-CD-Box »Cuba: I am time« eröffnet seine Darstellung zur Geschichte kubanischer Musik mit der Behauptung, sie sei das Resultat der Begegnung zweier einfach zu unterscheidender Quellen: des hispanischen Ursprungs und der vielfältigen Wurzeln westafrikanischer Kulturen.
   

Maria Theresa Vera
Das ist eine weitverbreitete Ansicht, die jedoch einen weiteren Einfluß glatt unterschlägt- den des Jazz der 30er, 40er und 50er Jahre. Zwar ist Jazz letztlich auch in der westafrikanischen Kultur geerdet. Doch die Verschmelzung von Musik und Kultur, von Kunst und Clubleben, ein wesentlicher Ausdruck der ersten wichtigen Popmusik der Welt, fiel im quasi kolonisierten vorrevolutionären Kuba auf fruchtbaren Boden. Streng genommen gibt es noch ein viertes Element, doch die Ausrottungspolitik der spanischen Conquista war so erfolgreich, daß Spuren indigener Musik heute nur noch der Forschung auffallen.

Der Einfluß von Swing und BeBop führte in den 50ern zu einem eigenen kubanischen Jazz-Stil, der Descarga. Big Bands, die den Sound der späten 30er und frühen 40er pflegte, ließen viel Raum für perkussive Elemente der afrokubanischen Musiktradition, kopierten aber in Organisation und Haltung die Brüder aus dem Norden. Nach der Unabhängigkeit von Spanien im Jahr 1898 war Kuba bis zur Revolution 1959 faktisch das Casino und der Puff der USA.


Nicht ganz zufällig beziehen sich die drei CDs von Nick Golds Londoner Label World Circuit auf diese vorrevolutionäre Epoche. Die auch hierzulande sehr erfolgreichen Alben in ihren Schobern mit Fotos im Stil der guten alten Zeit rufen den locker jammernden Stil der 50er in Erinnerung. Die coole, etwas verwaschene Produktion führte die Afro Cuban All Stars, Rubén González und Ry Cooder`s Buena Vista Social Club sogar in die Verkaufs-Charts.
Daher der Titel der 4-fach CD-Box:
"Ich kann länger warten als Du, denn Ich bin die Zeit."
Wandgemälde in Cuba (Ausschnitt)

Mit der Revolution endete der immer stärker werdende Einfluß des Jazz auf die kubanische Musik. Die konservative Auslegung vor allem der Exilgemeinden in Miami und New York beharrte auf der Musik, die in den 50ern in den großen Clubs gespielt wurde und somit auf den Sound der Jazz-BigBands mit kubanischen Rhythmen. In Kuba selbst wurde Jazz, der ab 1959 nicht mehr ins Land kam, sozusagen eingemeindet in die kubanischen Musiktraditionen und gleichberechtigt neben den anderen mitverarbeitet und weiter entwickelt: Trompete und Posaune bekamen ein immer stärkeres Gewicht in den diversen traditionellen Stilen. Das Kuba Fidel Castros hat also zumindest im musikalischen Bereich, verglichen mit anderen sozialistischen Bruderstaaten wie etwa der DDR, eine enorme Kreativität zugelassen.

Innencover "CUBA - I Am Time"
Den größten Anteil am enormen Ausstoß kubanischer Musik auf dem hiesigen Tonträgermarkt hat das in Mexiko beheimatete Label Corason. Dessen Chef Eduardo Llarenas, der über ein riesiges Archiv an mexikanischer, mittelamerikanischer und karibischer Musik verfügt, hat sich mit zahlreichen Veröffentlichungen,darunter auch diversen Kompilationen der Musik Kubas gewidmet. Dabei lassen sich oft Gemeinsamkeiten mit den WorldCicuit-CDs entdecken. Das ist kein Zufall, es gibt Überschneidungen beim Personal. Der Gitarist Eliades Ochoa zum Beispiel, einer der Stars des Buena Vista Social Club, taucht hier mit einer CD seines Cuarteto Patria auf, einer Sammlung melodiesüchtiger Son- und Bolero-Tracks aus Santiago de Cuba, dem musikalischen Zentrum der Insel.
Zigarren


Typisch für Kuba ist die Fortsetzung des eingeführten Markenzeichens einer Band über Jahrzehnte Auf »75 Years Later« wird das Septeto Habanero vorgestellt, das seit einem dreiviertel Jahrhundert besteht. Längst sind die Gründungsmitglieder tot, aber über Söhne, Neffen, Enkel und deren Freunde wird der Son bis heute weitergespielt. Son verkörpert die Essenz der kubanischen Geschichte vor diesem Jahrhundert, er vereinigt die afrikanischen Rhythmen mit der spanischen Gesangstradition. Der Sampler »Septetos Cubanos - Sones de Cuba« stellt eine breite Auswahl von Bands vor, die diese bis heute in Kuba sehr populäre Musik bearbeitet. Purismus kennzeichnet die Aufnahmen, denn Llarenas war stets vor Ort und hat die Bühne immer dem Studio vorgezogen. Als Manko im Vergleich zu den satt ausgestatteten WorldCircuit-Ausgaben erweist sich bei Corason die armselige Gestaltung der CD-Booklets, deren Armut an Ideen und Phantasie sicherlich verkaufshemmend wirkt.

Im Kontrast dazu stehen die CDs von Jesus Alemañy und Alfredo Rodriguez. Das Hannibal-Label des legendären Joe Boyd, der schon Chris McGregor's Brotherhood of Breath, Nick Drake oder R.E.M. produziert hat, geht ästhetisch eher den New Yorker Weg. Obwohl in den staatseigenen kubanischen Egrem-Studios eingespielt, besitzen die Aufnahmen die akustische Transparenz der Exilmusik und kopieren ihre hierarschiche Ordnung. Besonders der Trompeter Jesus Alemañy dominiert seine Band !Cubanismo! und spielt sie stets an die Wand.

Die beiden neuen Produktionen des Berliner World-MusicLabels [pi'ra:nha], versuchen sich als knappe Bestandsaufnahme. Der Sampler »Cubanismo« präsentiert Mitschnitte des hauseigenen Heimatklänge-Festivals, das 1997 den Schwerpunkt Kuba hatte. Auf der CD finden sich mit Bands wie den Afro Cuban All Stars, !Cubanismo! und Muñequitos de Matanzas auch die Akteure der anderen Labels. [pi'ra:nha]s »From Afrocuban Music to Salsa« ist ein besonders interessantes Projekt. Ein Reader, dem eine CD beiliegt, erläutert sehr gründlich und nachvollziehbar die historischen Wurzeln die in die populäre kubanische Musik mündeten: Son, Rumba, Canción, Danzón. Die 26 Beispieltracks sind frei von Stars und bieten eine klare Orientierung. Populärwissenschaft kann so schön sein.

»Cuba: I am time« ist das Monument unter den Veröffentlichungen des Jahres 1997. Vier CDs mit viereinhalb Stunden Spielzeit sind fein nach Mottos geordnet und bieten zwischen Maria Teresa Vega und Arseñio Rodriguez fast jede wirklich wichtige Figur auf: »Cuban Invocations« beleuchtet die afrikanischen Bestandteile kubanischer Musik; »Cantar en Cuba« versammelt die SolistInnen und Bands des Son; »Bailar en Cuba« dokumentiert die Intervention des Jazz in die Szene, und »Cubano Jazz« schließlich zeigt die verschiedenen Bearbeitungen die eben dieser Einfluß in den letzten vier Jahrzehnten erfahren hat - bis hin zum Post Bop von Jungstar Gonzalo Rubalcaba. Das dicke Booklet, opulent bebildert, erklärt kubanische Musik über Biografien und in übergreifenden Texten. Jeder Track hat ein kleines Kapitel, mitunter sind die Texte abgedruckt - leider wird mit der Dokumentation der Aufnahmedaten von 1927 - 1997 etwas lässig umgegangen. Das Booklet und das Buch von Blue Jackel versammeln ein Wissen, das für zahlreiche Quizsendungen und 10.000-Mark-Fragen ausreichen dürfte.

Bleibt die Frage nach der Ursache des Booms. Welche Phänomene bilden den Ursprung für die derzeitige Popularität kubanischer Musik in diesen Breiten? Mit dem Massentourismus und der damit einhergehenden Käuflichkeit kubanischer Kultur, die bis in die 90er Jahre nicht mit Dollars zu erwerben war, läßt sich sicherlich einiges erklären, dazu Rhythmen die Sehnsüchte nach Exotik wecken, untermalt von einer Sprache, in der sich »amor« schlicht auf »dolor« reimt.
Kubanische Popmusik ist afrikanisch zwar, aber nicht so sehr wie die afrikanische Musik; die spanischen Einflüsse - Sprache, Melancholie- machen das ganze für europäische Herzen goutierbar. Schließlich produzieren die Bilder des (relativ) frühen Jazz ebenfalls einen anschmiegsamen Wiedererkennungsrahmen. Und womöglich bedeutet der Rückgriff auf die Musik, die unweigerlich die Bilder des vorrevolutionären Kuba hervorruft, nichts anderes als einen Vorgriff auf die Zukunft des Landes.
Max Annas und Christine Hatzky
für

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