Vèvès Voudou des Künstlers Philipe Sterlin Haiti
Menschen, Voodoo und Musik
Vèvès Voudou des Künstlers Philipe Sterlin
Ein Besuch von Uli Langenbrink in einem der ärmsten Länder der Erde
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Port-au-Prince, die Schreckliche
Je näher wir der Hauptstadt kommt, desto asphaltierter wird die Straße; Dörfer, einige Reisplantagen, buntbemalte Friedhöfe machen Siedlungen Platz, die an Vorstädte erinnern. Immer mehr zerbeulte Autos, hupende TapTaps, röhrende Mofas und Lastwagen schieben sich kreuz und quer über die Straße, dazwischen laufen Menschen hin und her, Straßenhändler kommen an die Fenster und halten Zeitungen, Bananen, Ketten, Masken etc. in den Wagen, und mitten im Chaos steht ein Polizist mit weißen Handschuhen: einsam kämpft er mit seiner Trillerpfeife gegen das Chaos. Port-au-Prince liegt wie hingegossen in einer weiten Ebene, zu Füßen eines Bergmassivs und umspült vom blauen Meer - doch eine idyllische Athmosphäre herrscht in der gebeutelten Haupstadt Haitis auf keinen Fall. Die Angaben über die Zahl seiner Einwohner schwanken: mal sind es 1 Million, mal 2 Millionen, mal nur 800.000. Offenkundig ist, daß keine Behörde Übersicht über die riesigen Slums haben dürfte, von denen "Cité Soleil" ("Sonnenstadt") nur der bekannteste ist. Eigentlich ist fast die ganze Stadt ein Slum - nur im relativ kleinen Stadtkern stehen einige koloniale Bauten, die in zarten Pastelltönen getünchte Kathedrale überragt die niedrigen Häuser, und in manchen Straßen sehen wir noch einige Exemplare der ehemals prachtvollen, kunstvoll verzierten Holzvillen. Eine ist das Hotel Oloffson, in dem Graham Greenes bitter-ironische Abrechnung mit der Diktatur, der Roman "Die Stunde der Komödianten" spielt.






Vor dem weißen Zuckerbäckerpalast, in dem die Regierung residiert, hat man ein kleines Denkmal für Père Aristide errichtet, den seit Jahrzehnten einzigen demokratisch gewählten Präsidenten, der Reformen für sein Land durchsetzten wollte. Der Ausgang der Geschichte ist bekannt: er wurde von den Militärs gestürzt, der Terror in den Straßen von Port-au-Prince rückte Haiti in die internationalen Schlagzeilen, die USA sahen sich veranlaßt, eine Blockade gegen das Land zu verhängen.
Boukman Eksperiens
Boukman Eksperiens

Nachdem auch das letzte Körnchen Reis verschwunden und der letzte Baum verfeuert war, hatte die haitianische Oberschicht sich eine goldenen Nase mit dem Schwarzmarkt verdient, das Embargo wurde aufgehoben und eine Übergangsregierung eingesetzt. Im Moment ist es ruhig in Port-au-Prince, will sagen: es gibt nicht mehr jede Nacht Schießereien, die Menschen werden nicht mehr einfach so nachts abgeholt, um in irgendwelchen Massengräbern zu verschwinden, die Märkte sind wieder voll mit allen nur denkbaren Waren - doch die Armut regiert wieder in Port-au-Prince. Im Herzen der Altstadt bietet sich dasselbe Bild wie in Cap Haitien: kaum kann man sich in den Straßen fortbewegen, so eng gedrängt stehen die Verkaufsstände, unter denen Menschen liegen, zwischen Bergen von stinkendem Abfall. Hupende Mofas quetschen sich an den Autos vorbei, die nur im Schritttempo vorwärtskommen, alle zwei Meter dröhnen die Hits der haitianischen Bands aus quäkenden Lautsprechern, und ich kaufe einen Stapel schlecht kopierter Kassetten. Gleich auf der ersten finde ich einen Song, einen sanften Apell einer namenlosen Band an alle Haitianer, zusammenzuarbeiten, um das Land wieder auf die Füße zu bringen, die demokratischen Gesetze zu respektieren, nicht zu stehlen und sich nicht gegenseitig umzubringen...

Die Kassette begleitet mich bis zu dominikanischen Grenze.
Eval Manigat
Eval Manigat
Nach wenigen Stunden in der haitianischen Haupstadt wird klar, daß hier extreme Armut neben extremem Reichtum lebt und Konflikte vorprogrammiert sind. Die Wohlhabenden und Superreichen haben sich ihre Häuse und Villen rund 500 m den Berghang hoch gebaut. Offiziell ist ihr Stadtviertel Petionville eine selbständige Kommune, benannt nach dem Unabhängigkeitskämpfer Pétion. Tropische Gärten, ein Luxushotel, Restaurants, kleine Pensionen und Geschäfte sowie die eine oder andere Buchhandlung gibt es hier. Allerdings macht die Invasion der Armen auch vor Pétionville nicht halt: zwischen den Mauern der Villen leben unzählige Obdachlose, die sich jeden Abend gegen sieben Uhr mit Eimern und Behältern auf dem Kopf auf den Weg zu öffentlichen Brunnen machen, um das dringend benötigte Wasser zu holen.
Ein Wunder, daß unter solchen Bedingungen überhaupt noch Musik gemacht wird...und sogar 1995 nach langer Zeit des Ausnahmezustands das erste Musikfestival organisiert wurde (hervorragend dokumentiertBouyon Rasin im Live-Mitschnitt des Festivals "Bouyon Rasin", bei Tropical Music). Kein Zufall, daß es in erster Linie roots-Musiker /mizik raisin waren, die sich zwei Tage lang im Sylvio Cartor Stadion trafen: Bovano, ein haitianischer Bob Marley, der mit einem Papagei auf den Schultern durch die Gegend wandelt.

Twoup Mandoul mit Vodou-Jazz; Rasin Kanga, der Sänger Wawa - einer der Pioniere der raizin-Musik, er tritt seit 1958 nur begleitet von haitianischen Trommeln auf; Foula, eine von den vielen Bands, die nach dem Sturz des Diktators Baby Doc entstanden sind, mit einer einzigartigen Mischung aus Jazz und haitianischen Rhythmen; die 72jährige Sängerin Martha Jean-Claude, die lange Zeit in Kuba lebte und deren Tochter sich dort als Hotelmusikerin durchschlägt; die All-Star-Band Ram, bei deren Auftritt ein Wunder geschah: die Wolken über Port-au-Prince rissen auf und es begann zu regnen; Sanba-yo, eine von Veteranen der roots-music geführte Band, die eine Art zeremoniellen Vodou-Trance auf der Bühne praktizieren; Rara Vodoule - 30 Musiker mit Bambustrompeten, Blechtrompeten, Trommeln und Rasseln, also eine veritable Rara-Band, wie sie um Ostern über den Friedhof von Port-au-Prince zieht, und natürlich Boukman Eksperyans, die in einer polyphonen Beschwörung Legba anriefen, eine Gottheit des Vodou, die für den guten Ausgangs jedes Unternehmens zuständig ist. Für viele Musiker bot das Festival seit Jahren die erste Möglichkeit überhaupt, wieder aufzutreten; viele kamen aus dem Exil nach Haiti, wie Jean Wyclef, einer der Stars des Festivals. Kaum eine Band, die während der Diktatur nicht mit Auftrittverboten belegt wurde, von anderen Dramen ganz abgesehen.


Roots-Musik, Rara, Vodou ist und war nie unpolitische Musik, selbst dann nicht, wenn sie im Rahmen von Zeremonien gespielt wird.

Denn die Botschaft ihrer Songs ist: Einheit durch Vodou. Black Power in Verbindung mit den afrohaitianischen Wurzeln.



Man kann sich ganz gut ausmalen, welche Sprengkraft eine Musik haben kann, die aus einer Volksreligion kommt, die Armut und Ausbeutung enunziert und noch dazu ihr Publikum aufruft, etwas dagegen zu tun. Der letzte Abend in Port-au-Prince. Von der Terasse des Luxushotels von Pétionville sehe ich auf die tiefschwarze Ebene, in der die traurige Hauptstadt liegt. Kaum ein Laut dringt aus den Slums nach oben, doch diese Stille wirkt einschüchternd.

Eine kleine Band steht neben der Bar und singt für die wenigen Touristen: Haiti, chérie, geliebtes Haiti. Ein Land, dem man dringend ein besseres Schicksal wünscht.

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