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Mory Kante gehört zu den Superstars der afrikanischen Musikszene. Sein Millionen-Hit Yeke-Yeke ist nicht nur Insidern bekannt. Die schweizer Autorin und Journalistin Marianne Berna beschäftigt sich bereits seit vielen Jahren mit der Musik Afrikas. Sie kennt sie die Szene, Musiker und Macher, wie kaum jemand. |
Marianne und Mory trafen
sich in Paris zu einem Gespräch. Es ist veröffentlicht in dem
lesenswerten Buch Paris wie die Wilden Afrika - seine Musik - ihre Metropole von Marianne Berna und Bill Akwa Betote erschienen im ECO-Verlag ISBN 3-85647-105-7 Der ECO-Verlag stellte uns freundlicherweise dieses Material zur Verfügung. Fotos Courtesy by ECO-Verlag, Zürich Kurze Discographie |
Einer von vielen, Erster unter Gleichen:
Mory Kante
Westafrika, um 1950. Weil die Franzosen bei ihrem
Abzug aus Guinea einige Jahre später sämtliche Urkunden verbrannten,
steht als Geburtsdatum in Mory Kantes Pass:"vers 1950".
Über Afrika dämmert ein neues Zeitalter. Der
Kolonialismus liegt in den letzten Zügen, vor der Tür steht die Unabhängigkeit.
Die technologische Ära, die sich ja auch im Westen erst langsam breitmacht,
dringt allerdings erst in kleinen Portionen nach Afrika und höchstens in
die Hauptstädte. Auf dem Land, auf dem riesigen, endlosen Land Afrikas,
regiert noch die Tradition.
Das uralte Reich
Mali, das sich zu Kolumbus' Zeiten vom Senegal bis fast zum Tschadsee
erstreckte, ist zwar längst plattgewalzt und zersplittert. Aber die
Tradition, die Sprachen, Kultur und sozialen Strukturen des Reiches Mali sind
erhalten. Der Mande, wie man diesen Kulturkreis nennt, der Mande lebt. Die
wohl wichtigste Rolle bei der Bewahrung dieses Kulturkreises spielen die
Griots, auf Manding
Djali. Europäer sehen in den Griots meist
nur gerade die Sängerinnen oder Sänger und Musiker, als die sie oft in
Erscheinung treten. Aber Unterhaltung ist nur ein kleiner Teil ihrer Rolle. "`Djali`
heisst eigentlich `Blut`", erklärt Mory Kante. "Wir sind das Blut
der Gesellschaft, ohne uns kann sie nicht überleben. Wir sind in der Seele
eines jeden, denn wir sagen den Leuten, wer sie sind."
Morys Kaste
Griots sind Historiker und Ahnenkundler, sind
Journalisten, Diplomaten, Hofnarren, Werbefachleute, Magier, Seelsorger und
politische Drahtzieher. Jede Familie von Rang und besonders der Adel haben ihre
Griots, die die Ahnengeschichte bis in graue Vorzeit kennen und bei allen
Familienanlässen vortragen. Früher, als Afrika noch mit seinen
selbstentwickelten Gesellschaftsstrukturen lebte, sprachen König oder
Dorfchef nur durch die Griots zum Volk. Aber das Volk durch sie auch zur
Obrigkeit. Die Griots hatten also die heikle Aufgabe, sowohl den Untertanen die
neuen Gesetze und Verordnungen beizubringen als auch die Regierung stets über
Stimmungen und Strömungen im Volk auf em laufenden zu halten. Bis heute
erhalten hat sich der Brauch, sich von Griots Lobeslieder zum eigenen Ruhm
singen zu lassen. Deshalb hört man auch in der modernen Musik immer so
viele Namen. Zwar verachtet man die Griots dafür, engagiert sie dann aber
bei nächster Gelegenheit doch selbst. Auf jeder Ebene: Fussballclubs
werden ebenso besungen wie Politiker. Youssou Ndour
(der nur mütterlicherseits von Griots abstammt) widmete 1982 das Titellied
seiner neuen Kassette einer Automarke. "Honda" wurde, wie alle
Youssou- Kassetten, zum Nationalschlager, und der Künstler bekam einen schönen
Wagen.
Griots sind die "Meister des Wortes",
wie der Schriftsteller Camara Laye so treffend titelte - und das Wort war auch
in Afrika am Anfang. Regelrechte Kommunikationsexperten, sitzen sie an den
Schaltstellen der Macht: an der Basis aller menschlichen Beziehungen.
Ähnlich wie einst der Klerus bei uns Volk und Könige
mit Ablass oder Exkommunikation manipulierte, steigen die Griots bis heute zwar
selbst nie in den Adel auf, aber sie übten immer grosse Macht auf ihn aus. Ähnlich
wie die Kirche zu Geld kommt, lebten die Griots - meist nicht schlecht, oft sehr
gut. Und wie der Klerus dem Zölibat unterstellt ist, so hat die
afrikanische Gesellschaft auch die Macht der Griots einer Kontrolle unterworfen:
Sie bilden eine Kaste für sich und dürfen sich nur innerhalb der
Kasten verheiraten. Bis heute.
Kraft ihrer
Ausbildung und ihrer ererbten Fähigkeiten finden Griots in moderner Zeit
oft den Weg in hohe Positionen von Wirtschaft und Politik. Doch selbst ein
Minister aus der Griotkaste würde empört aus dem Hause geworfen,
sollte er sich erdreisten, seine Frauen unter den "Freien" zu suchen
(und wären die Erwählten bettelarm ... ).
Morys Familie
Frauen, richtig. Denn die
Mande-Völker waren schon immer polygam, und daran hat natürlich auch
der Islam nichts geändert. Mory Kantes Vater, 1986 im Alter von 109 Jahren
gestorben, war ein »grosser Meister der Tradition" Schmied, Magier und
Chefgriot des ganzen Bezirks im hintern Guinea und hatte als solcher natürlich
stets die vom Islam erlaubten vier Eheweiber. Da er zahlreiche von ihnen überlebte,
sich auch ab und zu scheiden liess, heiratete er immer wieder neue hinzu.
Eine seiner letzten Bräute war Fatoumata Kamissoko,
Tochter des Griots Mory Kamissoko, der so mächtig war, dass ihn einst die
Franzosen kurzerhand auf den Thron des ehemaligen Königs setzten. Nach
sechs Monaten aber gab Kamissoko seine Krone wieder ab, denn, so erklärt
mir sein Enkel, "wir Griots sind mehr als Könige. Wir sind die
Vernunft, die Bewusstwerdung. Wir regeln den Zustand der Seele. Wenn man so
viel Macht hat, muss man sich unterordnen. Man muss die Oberhäupter, das
Volk und die gesellschaftliche Struktur respektieren, um überhaupt leben zu
können. Man muss Demut üben. Darum hat mein Grossvater die Krone an
die Königsfamilie zurückgegeben."
Kamissoko war ein weiser Mann. Er wusste, wie sehr
man die Griotkaste fürchtet, sie wegen ihrer Käuflichkeit auch
verachtet. Er wusste, dass man den Bogen nicht überspannen darf. Wenn
Mory Kante von seinem Grossvater Kamissoko erzählt, beginnen seine Augen zu
leuchten, seine Stimme, seine ganze Erscheinung straffen sich. Von diesem Mann
hat er nicht nur den Vornamen ins Leben mitbekommen.
"Er ritt auf seinem weissen Pferd, ein Gefolge von sechzig,
achtzig Musikern begleitete ihn auf jedem Weg. Stell dir vor, die Würde,
die Lieder, die Musik - es war eine afrikanische Symphonie! Dies hatte ich in
meiner Kindheit vor Augen."
Eine
jahrhundertealte, beidseitige Ahnenreihe von Griots also. Mory war einer der
letzten Sprösslinge seines damals schon betagten Vaters und hatte 37 Brüder
und Schwestern - die meisten davon natürlich Halbgeschwister von andern Müttern
und manche so viel älter, dass sie selbst Kinder in Morys Alter besassen.
Es war ein riesiger Griotclan, dessen Mitglieder es fast alle weit gebracht
haben. Entweder in Wirtschaft, Forschung und Politik, oder - klar - als Künstler.
"Mein Vater sah die moderne Zeit kommen und
schickte uns alle 38 in die Schule der Weissen. Selbst die Mädchen."
Im Bezirkskaff Kissidougou von damals wahrhaft revolutionäre
Erziehungsmethoden! Doch vor der Schule, lange, lange vorher, begann die
Erziehung zum Griot. Die fängt im Mutterbauch an, "wenn die Mutter
den ganzen Tag singt und singt."
Mit sieben steht der kleine Griot, die kleine Griotte
erstmals vor einem grossen Publikum. Könnten sie dann die wichtigsten Epen
des Mande nicht fehlerfrei rezitieren, so wären sie unwürdig, zu
Meistern des Wortes geformt zu werden. Mory muss schon damals mehr als das
Erforderliche gebracht haben, denn der berühmte Grossvater wies mit dem
Finger auf ihn und sprach: "Dieser hier - er ist bestimmt, mein Werk
fortzuführen!"
Mory lernt, was er später brauchen kann
Die nächsten zehn Jahre gab man ihm das Werkzeug
dazu. Man lehrte ihn Balafon spielen, das afrikanische Holzxylophon,
Familieninstrument der Kante. Man lehrte ihn, mit seiner Stimme all das zu
bewirken, was eine menschliche Stimme bewirken kann. Man trainierte sein Gedächtnis
zu phänomenaler Kapazität, brachte ihm das gesamte Epos des Mande und
all seiner Familien bei (das entspricht umfangmässig etwa der Bibel). Man
weihte ihn in Magie ein und schulte ihn als Zeremonienmeister. Man
unterrichtete ihn in Psychologie und Soziologie, dem Funktionieren des
einzelnen, der Gruppe und der Masse. Man investierte jegliche Mühe und
Sorgfalt in Morys Erziehung, denn er war nicht nur seines Grossvaters erwählter
Lieblingsenkel, sondern zeigte sich der Herausforderung auch voll gewachsen.
Klug, herzig, charmant und sehr talentiert - er war ein richtiges Sonnenkind.
Ganz Kissidougou hätschelte und verwöhnte den kleinen Mory.
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Damit ihm solcher Erfolg nicht
schon früh den Kopf verdrehe, sandte man ihn mit vierzehn nach Bamako, der
Hauptstadt von Mali, zur Tante auch sie eine Griotte von grossem Renommee. Dort
bekam seine Ausbildung den letzten Schliff, bis er mit siebzehn reif zur
Initiation war. Über diese Einweihung verweigert Mory schlankweg jegliche
Auskunft.
Die Endsechziger waren auch in Afrika eine wilde Zeit. Erste Ernüchterungen nach zehn Jahren Unabhängigkeit, schwere Wirtschaftskrisen und der gewaltsame Einbruch der modernen Zeit bereitete in vielen Ländern den Boden für Bewegungen unter der Jugend, die zum Teil direkt anschlossen an europäische 68er- und nordamerikanische Black-Power- Ideen. Für Mory jedoch waren Politik und Demos keine Themen. "Das interessierte mich überhaupt nicht. Ich hatte Besseres zu tun." |
Mory steht auf eigenen Füßen
Mory hatte nämlich seine eigene
Band. "Nach der Landung von Apollo auf dem Mond (1969) gab es in ganz
Westafrika eine Mode: Überall gründeten die Jungen kleine Bands zu
Ehren der Mondexpedition. Diese Gruppen spielten erstmals mit elektrischen
Instrumenten und nannten sich eben "Apollos". Wir hatten drei
Gitarren, Bass, Schlagzeug und ein Mikrophon; ich spielte Leadgitarre und sang.
Ha, wie das lief! Keine Hochzeit, keine Taufe ohne mein Apollo!
Nach kurzer Zeit hatte ich schon einen Lieferwagen
- einen Opel! -, da waren vorne drauf die Lautsprecher montiert, und los ging's!
Mit dem Apollo habe ich zum ersten Mal die traditionellen afrikanischen
Instrumente - das Balafon, die Kora- auf die elektrische Gitarre übertragen.
Die andern Bands, die spielten alle noch europäische Schlager und
kubanische Tänze. Wir waren die ersten, die die traditionelle Musik des
Mande elektrisch modernisierten.
Wie ich auf die
Idee gekommen bin? Schau - ich habe gesehen, wie die Weissen meinen Grossvater
auf den Königsthron setzten. Einen Griot! Die Weissen haben etwas
durchgesetzt, das achthundert Jahre lang absolut undenkbar war! Das hat mir
klargemacht, dass wir an der Welt der Weissen nicht mehr vorbeikommen. Wir können
zwar so tun, als gäbe es sie nicht. Dann werden sie uns einfach überrollen.
Für mich war der Weg schon damals klar.
Die Alten (Alte - in Afrika nicht abfällig,
sondern Ehrentitel) protestierten lange gegen meine Neuerungen und zitierten
mich vor den Rat. 'Du machst unsere Tradition kaputt mit dem Teufelszeug der
Weissen', warfen sie mir vor. Es war sehr schwierig, sie zu überzeugen.
'Wenn ich es nicht mache, werden es eure Enkel tun', erklärte ich ihnen.
Bis sie mir schliesslich ihren Segen auf den Weg gaben.
Mein
Vater hat uns in die Schule der Weissen geschickt. Das war sehr klug. Wir
kommen nicht darum herum, mit dem Westen zu leben. Nur wenn wir uns verständlich
machen können, haben wir überhaupt eine Chance, uns durchzusetzen. Es
muss endlich ein Gleichgewichtgeschafft werden in diesem Monolog zwischen Afrika
und dem Westen!"
Vorläufig aber hörte noch kein Mensch im
Westen Morys Stimme oder Band. In Bamako dagegen verbreitete sich sein Ruf
schnell. Die
Rail Band du Buffet de la Gare de Bamako (zu
deutsch die "Eisenbahnband vom Bahnhofbuffet Bamako") spielte den
Reisenden während der afrikanisch langen Wartezeiten zur Unterhaltung auf.
Sie hatte ebenfalls gerade elektrische Instrumente bekommen und suchte noch
Musiker, die ihrem Starsänger Salif Keita das Wasser reichen konnten.
Doch das
Zusammenspiel der beiden heute berühmtesten Musiker Westafrikas dauerte nur
acht Monate. In Bamako wussten alle, warum: Es war die Todfeindschaft zwischen
Salifs Vorfahr Sundjata Keita, der anno 1200 das Reich des Mande begründete,
und seinem damaligen Widersacher Sumanguru Kante, dem Urahn Morys, die zwischen
der beiden stand ...
Wenn die Rail Band das altüberlieferte
Heldenepos von Sundjata anstimmte, dann sang Salif die Partien, in denen
Sundjata besonders glorios herauskommt. Mory dagegen, zweiter Sänger und
Gitarrist, konterte mit den Teilen, die Sumangurus Heldenmut und Kraft
herausstreichen. Diese Aufnahmen - kürzlich wiederaufgelegt - gehören
zu den frühen Höhepunkten der modernen Mande-Musik. Doch Salif Keita
verliess das Bahnhofbuffet Bamako und gründete sein eigenes Orchester, die
Ambassadeurs. Mory blieb fünf Jahre bei der Rail Band (die es übrigens
heute noch gibt), ehe ihm Bamako zu eng wurde.
Mory
zieht in die Fremde
1978 war Abidjan, Hauptstadt der Elfenbeinküste,
der Kreuzweg des kulturellen Austausches in Afrika. Finanziert von den reichen
Dioula- Händlern - auch sie ein Mande-Volk -, stellte Mory binnen kurzem
eine Truppe von 57 Musikern, Tänzern und Artisten auf die Beine, mit der er
in einem Car auf Tournee ging. Ziel des ambitiösen Unternehmens war, die
westafrikanische Kultur in ihrer ganzen Breite auszuloten. "Was ich heute
mache, hier in Europa - das ist ein ganz kleiner Teil dessen, was ich mit der
Truppe in Abidjan erstmals umriss. Wir erforschten Instrumente, Rhythmen, Tänze,
Legenden..."
Damals begann Mory, die Kora
als Leitinstrument einzusetzen, mit der er heute die Weissen bezaubert. Aus den
USA kam - Folge der Roots- Bewegung - der Verleger der schwarzen Zeitschrift "Ebony",
auf der Suche nach "echt afrikanischer Musik" und stiess auf Morys
Orchester. Aus dieser Begegnung entstand das "Courougnegne",-Album,
Morys schönstes und ein Klassiker der Musik Afrikas. (Es ist leider längst
vergriffen.) Aber er musste weiter. 1983 verschwand er für ein Jahr.
Wohin? Darüber schweigt er sich aus. "Ich
meditierte." In diesem Jahr reifte der Entschluss, sich im Westen Gehör
zu verschaffen.
"Zwischen Afrika und dem
Westen klafft ein tiefer Graben. Wir müssen eine Brücke bauen. Wir müssen
endlich ein Gleichgewicht herstellen. Und nur die Kultur wird dies
zustandebringen. Die Kultur ist das Erbe des Menschen. Durch sie wird der
Mensch erst wirklich zum Menschen. Die Kultur ist der Weg des Friedens, denn
ihre Stimme wird von der ganzen Menschheit verstanden.
Dieses
Streben nach Besitz, das sich heute überall breitmacht, das muss man züchtigen.
Sonst wird der Mensch zum Monster. Und nur die Kultur kann dies verhindern.
Der Milliardärssohn kann auf einem Konzert tanzen und wird zum Menschen wie
alle andern um ihn herum. Es ist wie in Mekka oder in Rom. Wenn sich die
Pilger versammeln, gibt es keine Milliardäre."
Mory behauptet von sich, dass seine Visionen von selbst
Wirklichkeit werden. Die Arbeit liegt wohl im Schaffen der Vision. Im Sommer
1984 kam Mory Kante nach Paris.
Er hatte noch nicht mal eine Wohnung, als ihm schon ein
Plattenvertrag in den Schoss fiel. Eine neue Band entstand wie von selbst
innert weniger Wochen: bunt gemischt aus Europäern und Afrikanern. Auf dem
noch im selben Jahr erschienenen Album "Mory Kante á Paris"
skizzierte er seine Vorstellungen von moderner afrikanischer Popmusik, unter
anderem in einer ersten Version von "Yeke Yeke", einem alten
Mande-Folkloresong, von dem es Dutzende von Versionen gibt.
Die Platte lief, wie nicht anders zu erwarten, schlecht. Nach
dem ermuti- genden Anfang in Europa bekam Mory in den nächsten paar Jahren
die harten Realitäten des Immigrantenlebens zu spüren.
Mory als Immigrant
Mit knapper Not konnte er Frau und Kinder nachkommen
lassen, aber die Familie hatte ständig Scherereien mit den Ausländerbehörden.
Ein neues Album war nicht in Sicht, weil ihn die Firma nach dem Flop des ersten
aus dem Vertrag entliess. Die achtköpfige Gruppe wollte auch bezahlt sein,
und schliesslich hatte Mory Kante ja noch Ansprüche. Ziemlich hohe: an
sich zuerst, aber auch an die Band, an seine Projekte, seine Plattenfirma...
Mory kämpfte.
Nur das Publikum hielt ihn in Europa -dieses Publikum, das oft zufällig in
die Konzerte hineinlief und das dem Charismades Griots fast unweigerlich erlag.
Daran merkte er, dass seine Vision kein Hirngespinst war.
Langsam begann die tropische Musik in den Hitparaden
aufzutauchen. Afrikanische Bands rochen nicht mehr a priori nach Pleite, und so
kam Mory 1986 bei der Plattenfirma Barclay unter Vertrag. Zwei Jahre nach
seiner Ankunft in Paris erschien das zweite Euro-Album. Schon der englische
Titel "Ten Cola Nuts" liess auf interkontinentale Ambitionen
schliessen; und wenn sich die Songs weit stärker an der traditionellen
Mande-Musik orientierten als das discohafte "A Paris", so gerieten die
Aufbereitung, das Styling von "Ten Cola Nuts" um so moderner. Besser
als irgendein anderes illustriert dieses Album Mory Kantes Verwurzelung in der
Tradition, seine Liebe zur Griot-Ballade. "Ten Cola Nuts" war eine
wunderschöne Platte, die dennoch kaum einen Eindruck hinterliess. Sie
verkaufte sich nur wenig besser als die vorherige.
Trotzdem
hielt Barclay Mory die Stange und stellte ihn ein Jahr später erneut in die
Startlöcher. Die tropische Welle hatte in Frankreich gerade ihren Höhepunkt
erreicht, als im Oktober 87 "Akwaba Beach" erschien. Mit drauf: eine
aufgepeppte Discofassung von "Yeke Yeke".
Anfangs machte die Neuerscheinung keinen grossen Lärm.
Doch Barclay hatte sich wohl von Mory Kantes Visionen anstecken lassen und ging
nun aufs Ganze. Videoclip, Tourneen, Maxisingle und Radioversionen von "Yeke
Yeke", Spezial-Konzerte für die Presse (Showcase nennt man das),
Plakate und Annoncen zuhauf - nichts wurde dem Zufall überlassen. Einmal
mehr zeigte sich Mory der Herausforderung gewachsen. Wer ihn auf der Bühne
gesehen, die perfekte Show, die phantastische Band erlebt hatte, war zumindest
beeindruckt. Mory arbeitete wie ein Verrückter an der Verwirklichun seines
Traums.
Im Frühling 88 begannen die Verkäufe
anzuziehen, man hörte dieses "Yeke Yeke" immer öfter am
Radio. Und plötzlich hob der Song ab. Zuerst natürlich in
Frankreich, kurz darauf dann in allen umliegenden Ländern schoss das alte
Folklorelied die Charts hinauf bis an die Spitze. Ganz Europa tanzte zu einem
Schlager, der auf Malinke gesungen war.
Mory Superstar
Präzis an jenem Sonntag Anfang Juli 1988, als
Mory Kante auf dem Programm des Jazzfestivals Montreux stand, wurde "Yeke
Yeke" in der Schweizer Hitparade Nummer eins. Und präzis an jenem Tag
tauchte erstmals seit Wochen der höchste Berg Europas, der Mont Blanc, aus
dem Dunst auf, um gut sichtbar über dem Städtchen am Genfersee zu
thronen.
Mory glühte vor Befriedigung, als wir ihm die
neuen Charts bekanntgaben, und er weihte mich praktisch zur Griotte, als ich ihm
den Mont Blanc zeigte - der Gipfel Europas, wo er ja jetzt auch einen Platz
besetzte. In diesem Moment war er ganz der alte - ein blitzgescheiter Kerl,
dessen Lebensinhalt und Bestimmung das Anführen von Menschen ist.
Aber nur in dem Moment. In Montreux sah ich zum erstenmal
diesen gehetzten Blick in seinen Augen. Ein paar Wochen später trafen wir
uns in Paris für ein wichtiges Interview, das ins Wasser fiel, weil er fast
am Restauranttisch einschlief. Er, der Griot, konnte nicht mehr erzählen
... Nicht mal mehr sein eigenes Epos.
Quasi zur
Versöhnung offerierte er mir kurz darauf einen freien Tag im Schweizer
Jura, wo er ein Konzert gab. Zu viert kurvten wir in der schönen Gegend
rum, liessen uns von der Gastfreundschaft der Jurassier verwöhnen, genossen
den Spätsommer. Aber dieser Blick wollte nicht aus Morys Augen weichen,
und es kostete mich meine ganze Diplomatie, um ihn vors Mikrofon zu kriegen.
Er, bei dem man früher besser mit zwei Kassetten zum Interview kam, weil er
so viel zu erzählen hatte!
Auf der Herbsttournee war es dann krass. Mory Kante
bestand nur noch aus Fragmenten. Er zeigte typische Rockstar-Symptome und
funktionierte auf der Bühne nur dank rigidester Griotdisziplin, wie sie ihm
ja vom ersten Lebenstag an eingeimpft worden war.
Neun
Monate später kam er abermals in die Schweiz. Das Konzert markierte einen
totalen Stillstand - es war Ton für Ton dasselbe wie im Jahr zuvor. Eine
Migräne ersparte ihm jeglichen Kontakt mit der Aussenwelt; sein Blick war
nun nicht mehr gehetzt, sondern schon fast resigniert. 1990 gab er das Album »Touma«
heraus, das ganz nach der "Yeke Yeke"-Masche gestrickt war. Ein
einziges Stück darauf lässt etwas von Persönlichkeit und Können
dieses hervorragenden Musikers erkennen. Im übrigen hört man wenig
von ihm. Wenn der Griot Mory Kante so klug ist, wie ich glaube, so nimmt er
sich ein Beispiel an seinem Grossvater und gibt wie der die Krone zurück,
die ihm die Weissen aufgesetzt haben.
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CD bzw. Platte nicht mehr erhältlich |
Album : 10 Cola Nuts 1981 Label : Barcley 829 087-2 |
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Album : Mory Kante á Paris 1984 Label : Barcley CD 837 729-2 |
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Album : Akwaba Beach 1987 Label : Barcley CD 833 119-2 |
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Album : Touma 1990 Label : Barcley CD 843 702-2 |
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Album : Nongo Village 1993 Label : Barcley CD 521 267-2 |
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Album : Tatebola 1996 Label : Misslin DME 18 3015592 |
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