Haiti Menschen, Voodoo und Musik |
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Ein Besuch von Uli Langenbrink in einem der ärmsten Länder der Erde | ||
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Um es kurz zu machen: freundliche Hotelangestellte halten mich auf und reden beschwörend auf mich ein, nur nicht um diese Zeit das Hotel zu verlassen, und schon gar nicht dürfe ich zu diesem Konzert, und dann ohne body-guards, viel zu gefährlich, Sie verstehen, Mademoiselle, nachts ist Cap Haitien ein tiefdunkles Labyrinth, Sie als Europäerin, dort wird viel getrunken und die Leute sind aufgeladen, spielen Sie nicht mit Ihrem Leben, hören Sie die Musik lieber von der Terasse aus. Ich habe nie erfahren, ob die Warnungen berechtigt oder übertrieben waren, denn ich blieb im Hotel. Gut möglich, daß sich die geballte Hoffnungslosigkeit gegen Europäer richtet, und sehr wahrscheinlich, daß die Musik ein Ritual ist, bei dem unerwünschte Zuschauer Aggressionen auf sich ziehen. | Nur einen Steinwurf von Cap Haitien entfernt liegt der Strandort Labadee. Amerikanische Kreuzfahrtschiffe legen in der idyllischen Bucht mit dem weißen Sandstrand an, die Drinks werden am Strand serviert, eine haitianische Tanzgruppe in bunten Gewändern trommelt für die amüsierten Touristen, die großzügig Trinkgeld verteilen. Hinein und hinaus gelangt man durch ein großes, steinernes Tor mit einem Wachmann. Das Kontrastprogramm à la haitienne geht aber noch weiter. Wir wollen zu einem der Monumente des schwarzen Selbstbewußtseins und fahren in die Berge, zum Nationalpark "La Ferrière". Vorbei an etwas wohlhabenderen Dörfchen, unzähligen Lotteriebuden ("Banque" genannt) und sehr vielen Schulen, in die bunt uniformierte Kinder strömen. Herzstück des Nationalparks ist die Zitadelle "La Ferrière", die wie ein monumentales Vogelnest oder ein gestrandeter Schiffsbug zwischen Nebelschwaden auf einer Berspitze thront. |
Schwarzes Selbstbewußtsein und Vodou: | |
"La Ferrière" ist eines der gewaltigsten Festungsbauwerke nicht nur in der Karibik und zeugt von Genialität und Wahnsinn des selbsternannten schwarzen König Henri Christophe. Der ehemalige Sklave war zunächst General der französischen Truppen geworden und schließlich Held der Kriege gegen Frankreich. Doch der geniale Stratege und Politiker verfiel schließlich einem delirierenden Machtrausch; aus Angst, Napoelon könnte Haiti zurückerobern, ließ er die 45 m hohe Zitadelle bauen, um die sich unzählige Legenden ranken. Eine davon ist, daß beim Bau der Festung das Blut der hingerichteten politischen Gegner Henri Christophes dem Mörtel beigemischt wurde. Fest steht, daß 200.000 Arbeiter die Festung in Rekordzeit bauten, und daß rund 20.000 von ihnen den Bau mit ihrem Leben bezahlten. Mitten in der Festung liegt Henri Christophe unter einem gigantischen Felsbrocken begraben - seine Zeitgenossen wollten sicher gehen, daß der schwarze König nicht etwa als Zombie in die Welt der Lebenden zurückkehrte. Denn Vodou war in Haiti von Anfang an mit scharzem Selbstbewußtsein verknüpft. | 1791 hatten auch die Sklaven in Haiti begriffen, was "liberté, égalité, fraternité" bedeutet, und ihre Revolte ließ sich nicht mehr aufhalten. Dreizehn Jahre dauerte der Krieg gegen die weißen Herren, der in einer stürmischen Nacht an einem Ort, der "Bois Caiman" hieß, also Wald des Kaimans, mit einem Schwur begonnen hatte. Tausende Plantagensklaven hatten sich dort versammelt, und ihre Anführer hießen Toussaint Louverture, Makandal (er war ein ehemaliger Sklave aus den USA) und Boukman, ein Vodou-Priester. Der Schwur, die Unabhängigkeit ihres Landes Haiti auszurufen, war verbunden mit der ersten Vodou-Zeremonien, die diesen Namen trug. Denn die drei Anführer hatten im Bois Caiman für die Vermischung verschiedener afrikanischer Religionen mit dem katholischen Glauben der Kolonialherren diesen Namen gefunden: Vodou, ein Wort aus der Fon-Sprache; es bedeutet "Geist". Plötzlich zogen die aus Westafrika angereisten Gottheiten der Ketu, der Allada, der Mahi, Ibo und Kongo mit französisch-katholischen Heiligen an einem Strang: gegen die Weißen, gegen die Franzosen, für ein schwarzes, unabhängiges Haiti. Vodou vereinte Götter und kämpfende Sklaven, Vodou gab ihnen das Gefühl von Einheit und spiritueller Überlegenheit. 1804 hatten sie es geschafft: Haiti wurde ein von Frankreich unabhängiger schwarzer Staat, und der Schwarze Henri Christophe krönte sich selbst zum ersten Monarchen der Neuen Welt. Doch die weiße Unterjochung seines Volkes löste Henri Christophe durch einen ebenso blutigen schwarzen Despotismus ab, der ihn, wie seine weißen Vorgänger, schließlich vernichtete. |
Weiter
geht die Fahrt Richtung Süden. Schotterpisten führen an die Küste,
durch die kleine Hafenstadt Gonaives, wo der ehemalige Sklave Jean-Jacques
Dessalines am 1. Januar 1804 den ersten freien schwarzen Staat der Welt ausrief.
Irgendwo zwischen den kahlen Bergen, zwischen denen die unbarmherzige Hitze über
den Kakteen flimmert, hören wir Trommeln und Gesang. Eine Vodou-Zeremonie
ist im Gange, in einer Hütte, über der die Fahne des Priesters weht,
des houngan. Wir dürfen kurz eintreten. Der houngan ist gerade dabei, zwei
Frauen zu heilen - einer hat sich ein Stein ins Fußbett gegraben und ist
jetzt bis zum Knie hochgerutscht, wo er ihr große Schmerzen verursacht.
Beide Frauen stehen zwischen brennenden Kerzen, kleinen Schalen, in denen Kräuter
verbrannt werden, umringt von den Helfern des houngan. Er selbst beschwört
die Vodou-Götter mit seinem Gesang, nimmt zwischendurch immer wieder einen
Schluck Rum in den Mund und prustet ihn in Richtung der beiden Frauen wieder
aus. Die gekalkten Wänden der Hütte und der gestampfte Lehmfußboden
sind mit magischen Zeichnungen übersät; Heiligenbildchen und bunten
Girlanden, die auf französisch "Fröhliche Weihnachten" wünschen,
hängen von der Decke - niemanden stört es, dass es längst Sommer
ist.
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Der Volksglaube Vodou geisterte jahrzehntelang in Form von mysteriösen Zombies durch die Hollywoodfilme und wurde von den internationalen Medien zu einem Klischee verbraten, das in der Lage ist, jede darunter subsummierte Kultur endgültig zu verreißen. Seht her, ein Volk von wild trommelnden Schwarzen, abergläubisch, ignorant, mysteriös und aggressiv. Genau das Gegenteil der (ebenso klischeehaften) "edlen Wilden", die traumtänzerisch-elegant unter Palmen tanzen, brav das Kreuz schlagen und keiner Küchenschabe etwas zuleide tun können. Was wirklich Vodou ausmacht, warum die ehemalige Sklavenreligion offensichtlich in der Lage gewesen ist, Jahrhunderte zu überleben und ihren Anhängern das Überleben zu ermöglichen, können wir auf dieser kurzen Reise natürlich nicht herausfinden und erleben. "Womöglich sind wir häßlich," heißt ein haitianisches Sprichwort, "aber wir sind immer noch da." Denn eines scheint deutlich zu sein: im Vodou steckt eine Spiritualität, die Energien hervorbringt, wo die Lebensumstände alle Energien verneinen. "Vodou ist eine Lebensweise, in der Religion, Philosophie, soziale Beziehungen, Heilkunde, Psychologie, Gerechtigkeit, Ethik und Kunst enthalten sind," schreibt Elizabeth Mc Alister im Booklet der Ellipsis-CD "Angels in the mirror - Vodou Music of Haiti". Und Mimerose Beaubrun, Gründerin und Lead-Sängerin von Boukman Ekspyrians, die roots-music mit Rock verbindet, erklärt selbstbewußt: "Für uns ist alles Vodou. Nicht nur das Trommeln und Tanzen bei einem Ritual... Alles, was wir tun, hat auch eine spirituelle Ebene. Vodou bedeutet auch, meinen Geist mit Deinem Geist zu verbinden. All das ist Vodou - den ganzen Tag lang." Ausführlich kommentierte Feldaufnahmen wie das Album von Ellipsis Arts oder z.B. auch "Rhythms of Rapture - Sacred Musics of Haitian Vodou" von Smithsonian Folkway eröffnen wirkliche Einblicke in den Vodou, erlauben einen Blick hinter den Spiegel jenseits aller Klischees. |
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