Haiti Menschen, Voodoo und Musik |
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Ein Besuch von Uli Langenbrink in einem der ärmsten Länder der Erde | ||
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An diesem feuchtheißen Sommernachmittag in Dajabon warten nur wenige Autos vor dem burgartigen Tor, das die Dominikanische Republik von Haiti trennt. Im Blick des Uniformierten liegt die stumme Frage, was wir wohl bei den ungeliebten Nachbarn auf der anderen Seite der Grenze zu suchen haben, dann stempelt er unsere Papiere und winkt uns durch, ins Niemandsland auf die Brücke. Sie führt über einen fast vollständig ausgetrockneten Fluß mit dem wenig einladenden Namen "Massacre" - der Massakerfluß erinnert an die vielen historischen Kriege und Scharmützel zwischen Haiti und der Dominikanischen Republik und an das Massaker, das der dominikanische Diktator Trujillo hier an Haitianern veranstaltete. |
Strassenszene in Port au Prince Unser Minibus wird umringt von einer Schar haitianischer Straßenhändler. Wir sind potentielle Käufer für Rum, Zigaretten, Sonnenbrillen, Strohhüte und zusammengewürfelte Kleidungsstücke, von denen die meisten aus Beständen des Roten Kreuzes stammen. |
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Kaum
haben wir die Brücke überquert, bleibt kein Zweifel mehr daran, daß
wir tatsächlich in einem anderen Land sind: die Straße ist nicht mehr
asphaltiert, die Busse, Jeeps und Mofas ziehen Staubwolken hinter sich her, als
wollten sie die ausgedörrte Landschaft einnebeln. Auch auf der
dominikanischen Seite der Grenze liegt ein Trockengebiet, das jedoch mit Bewässerungssystemen
notdürftig bebaubar gemacht wurde. In Haiti dagegen, so werden wir auf der
Reise noch öfter feststellen, gibt es kaum künstliche Bewässerung.
Ein Trockengebiet ist und bleibt ein Trockengebiet, auf dem außer Büschen
und Kakteen nichts wächst.
Ein bis auf den letzten Millimeter bunt bemalter Bus überholt uns mit einem halsbrecherischen Manöver auf der Sandpiste. Der auf dem Dach verschnürte Gepäckberg schwankt bedenklich, die Dachpassagiere krallen sich an rutschenden Strohkoffern fest und scheinen auf den Schutz des "Bondye" (Bondieu) zu vertrauen - der Name des von den Franzosen hinterlassenen "Guten Gottes" prunkt vorn und hinten auf dem "Tap-Tap", wie diese Busse lautmalerisch genannt werden. Wenn jemand aus- oder absteigen möchte, schlägt er mit der flachen Hand auf das Dach oder gegen die Seitenwand des Fahrzeugs. Der "Gute Gott" kämpft auf der Piste mit dem "Allmächtigen Gott", wird vom "Ich kann mehr als Du" überholt und liefert sich ein staubtrunkenes Rennen mit dem "Afrikanischen Engel"... Die am Straßenrand hockenden Frauen heben nicht einmal den Blick angesichts dieser himmlischen Potenzshows. Sie scheinen nur zu hoffen, etwas von ihrem Häuflein Mangos oder Holzkohle verkaufen zu können, denn davon leben die meisten Familien hier. Die Chancen stehen jedoch schlecht, denn alle verkaufen dasselbe Produkt und Käufer sind in dieser Gegend ohnehin rar. |
In einem
der namenlosen Dörfchen halten wir an und besuchen eine Familie, die in
einer Hütte hinter einer Kaktushecke lebt. Die Hütte steht auf dem
nackten Boden, sie ist bis auf etwas Stroh zum Schlafen vollkommen leer. Kein
Wasser, keine Pflanzen, keine Küchengeräte. "Wir Haitianer leben hier ohne Arbeit," sagt mir Ti Jean, der Hausherr. "Es gibt einfach keine Arbeit. Wir sind zwar Haitianer, aber wir leben wie die Hunde. Die Regierung tut überhaupt nichts, um uns zu helfen. Und wenn es keine Arbeit gibt, haben wir auch nichts zu essen." Und "nichts" bedeutet in Haiti tatsächlich "nichts". Nicht einmal Mangos wachsen hier, von Reis oder Süßkartoffeln gar nicht zu reden; Kochbananen sind ein Traum, und Fleisch, womöglich Fleisch vom schwarzen kreolischen Schwein - undenkbar. Diktator Baby Doc hatte - mit Unterstützung des us-amerikanischen Landwirtschaftsverbandes - die traditionellen kreolischen Schweine ausrotten lassen, und in den Turbulenzen der letzten Jahre hatte man schlicht vergessen, sie wieder einzuführen. "Wir sind hier völlig allein unter der Sonne. Nur der Staub begleitet uns," sagt mir Ti Jean beim Abschied. Klarsichtige Hoffnungslosigkeit. Er winkt und lächelt. Ein Teufelskreis, aus dem sich viele befreien wolle, indem sie ihre vertrockneten Dörfer verlassen und in die Stadt ziehen. Die nächste Stadt ist Cap Haitien, ehemals (wann mag das gewesen sein?) als das "Paris der Karibik" besungen. Spätestens seit dem US-Embargo gegen Haiti platzt Cap Haitien aus den Nähten. Zehntausende Menschen sind hierher geflohen und leben nun rund um die Flußmündung in riesigen, stinkenden Slums. Ihre Hoffnungen, in Cap Haitien Arbeit zu finden und sich eine Existenz aufbauen zu können, haben sich für die meisten zerschlagen. Die Slums wachsen unaufhaltsam weiter; offiziell hat Cap Haitien rund 70.000 Einwohner, doch die wirkliche Zahl wird man kaum feststellen können. Tagsüber ist Cap Haitien ein gigantischer Straßenmarkt, über dem eine akustische Käseglocke hängt: alle zwei Meter brüllen schlecht kopierte Musikkassetten aus gnadenlos übersteuerten Gettoblustern. Natürlich werden sie verkauft, nur ein paar Gourdes. Flirrende Synthezizerklänge, Hupen, automatische drums (aber synkopiert), kreolische Wortfetzen, durch Megaphone gebrüllte Anweisungen der Verkehrspolizisten, Trillerpfeifen, ein melodisches Gitarrenriff, das einem im Kopf hängen bleibt.. Unzählige Verkaufstände mit Obst, Gemüse und Fleisch, dazwischen Abfallberge, die unvermeidliche Holzkohle, Fahrradsattel, Autoreifen, Möbel, Hüte, Kosmetika, Ketten und Klamotten. Erst auf den zweiten Blick wird mir klar, daß wohl die meisten Familien, die dort alles nur denkbare verkaufen, unter und hinter ihren zusammengezimmerten Verkaufsständen leben. Ohne Kanalisation und ohne Wasser. |
Wir
fahren weiter durch verstepptes Land, im Hintergrund kahle Berge. Aus dem
Tapedeck im Bus dröhnt "Kiliboi", Coupé Cloués Song
über den legendären Urwald, der früher einmal fast die gesamte
Insel bedeckt hatte: "Ich kam zum Granba, dem großen Wald, um etwas
Holz zu schlagen. Ich bin einer armer Mann. Wage es nicht, mich zu
vergewaltigen./Du solltest das hölzerne Kreuz schütteln, um den Geist
in Schach zu halten - das ist der Damballah-Geist. / Ich sage, alter Mann, ich
bin ein ehrlicher Mann, und ich bin arm. Also tu mir nichts." Es fällt schwer, sich vorzustellen, daß Kolumbus hier 1492 landete und von der sagenhaften Fruchtbarkeit des eben entdeckten Landes schwärmte. Doch sobald auch nur ein winziger Bach oder ein noch nicht vollends ausgetrockneter Fluß auftaucht, ändert sich schlagartig die Szenerie: Bananenstauden ersetzen die Kakteen, Flamboyant-Bäume zaubern bunte Blütenträume, Mangobäume und Yukka, Süßkartoffeln und Zuckerrohr bieten eine minimale Lebensgrundlage. Winzige Oasen, deren saftiges Grün um so heftiger die schmutziggelbe Steppe ringsum kontrastiert, auf der skelettartige, halb bewußtlose Kühe auf die Geier warten. Die Bodenerosion ist bereits weit fortgeschritten und nur noch durch umfassende und astronomisch teure Aufforstungsprogramme und Bewässerungssysteme aufzuhalten, und dafür fehlt dem Land das Geld. Ein Ergebnis dieser Versteppung ist die Trockenheit - es regnet in dieser Zone höchstens einmal pro Jahr, ein anderes ist die daraus folgende ausweglose Armut, die wiederum auch die letzten Ressourcen auffrißt: Die meisten Menschen hier können die Preise für die Gasflaschen nicht bezahlen und sind darauf angewiesen, mit Holzkohle zu kochen, was den Kahlschlag nur noch schneller vorantreibt. Im momentan einzigen "europäischen" Hotel gibt es kostbares Wasser und einen Blick über die Bucht, den man "herrlich" nennen könnte, wenn die Stadt nicht so wäre, wie sie ist. Die Nacht bricht herein und mit ihr die Moskitos. |
Und plötzlich zerreißt ein synkopierter E-Bass die Stille, gefolgt von einem Gitarren-Arpeggio, das auf einem triumphierenden Rhythmusteppich tanzt. Irgendwo da unten in der Dunkelheit, wahrscheinlich am Hafen, gibt es ein Live-Konzert, und die Jungs scheinen hochhaushohe Lautsprecher aufgebaut zu haben, denn man versteht jedes gesungene Wort. Da muß ich hin. |
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